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Rückkehr zu den Wurzeln

JAZZ-FESTIVAL Seit zwei Jahrzehnten bringt die Jazz-Baltica Musiker aus den Ostseeanrainern zusammen. Zu hören sind diesmal aber auch zwei spannende Bands aus Island

Nicht nur geografisch hat Nils Landgren die Jazz-Baltica wieder näher an ihre Wurzeln gerückt

So etwas wie eine neu aufgelegte Hanse der Kultur schwebte dem damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm 1990 vor, als rings um die Ostsee das politische Eis zu schmelzen begann. Eine langfristige Kulturkooperation der Ostseeanrainer sollte die Initiative Ars Baltica voranbringen. Auch der Vorschlag Rainer Haarmanns, die kulturelle Begegnung mit einem Jazzfestival zu eröffnen, war Rückbesinnung auf eine alte Idee: Schon als Kulturreferent der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR hatte Haarmann mit der grenzüberschreitenden Kraft des Jazz gute Erfahrungen gemacht. Im ersten Jahr und von 1994 bis 2011 war Haarmann dann künstlerischer Leiter der Jazz-Baltica.

Der Gedanke der grenzüberschreitenden Begegnung war es denn auch, der das Ostsee-Jazz-Treffen zum „Kleinod unter den Jazzfestivals“ (Jazz thing) gemacht und schließlich zum Umzug in das Salzauer Herrenhaus und seine Konzertscheune geführt hat. Um dort zu spielen, wo man auch gemeinsam wohnte und probte. Nicht nur arrivierte Künstler aus dem Ostseeraum brachte Haarmann so mit US-Legenden zusammen, sondern auch den Jazz mit anderen Künsten. Schon das erste Festival eröffneten Günther Sommer und Günter Grass mit einem „Paukenschlag“ aus Jazz, Lyrik und Prosa.

Besonderes Anliegen des Kulturaustausch-Projekts war von Beginn an die Unterstützung neuer Talente der europäischen Jazzszene, unter anderem mit einem Förderpreis. Für viele bedeutete der Auftritt im Rahmen der Jazz-Baltica den weltweiten Durchbruch. Erstmals war hier der 2008 tödlich verunglückte schwedische Pianist Esbjörn Svensson mit seinem Trio mit dem Bassisten Dan Berglund und dem Schlagzeuger Magnus Öström zu hören. Der Grundstein für eine unvergleichliche Karriere: Von Kritikern geliebt und zugleich kommerziell erfolgreich haben e.s.t. die Grenzsteine des Piano-Jazz-Trios neu gesetzt und es schließlich als erste Europäer auf die Titelseite des renommierten US-Jazzmagazins Down Beat geschafft. Auch der schwedische Posaunist Nils Landgren stellte hier 1994 erstmals seine Funk Unit vor.

Seit letztem Jahr ist Landgren künstlerischer Leiter des finanziell nach dem Wegfall der Unterstützung durch das Land in Bedrängnis geratenen Festivals. Und hat es nicht nur geografisch wieder näher an seine Wurzeln gerückt: Erstmals fand das Ostsee-Jazz-Festival auf der Evers-Werft in Timmendorfer Strand statt. Und rückte den Austausch deutscher, skandinavischer und polnischer Künstler wieder in den Mittelpunkt.

Auch dieses Jahr hat Landgren mit kleinem Etat ein beachtliches Programm kuratiert. Zu Gast ist der schwedische Pianist Jacob Karlzon mit seinem Trio. Vor zwei Jahren wurde Karlzon als bester Jazzer Schwedens ausgezeichnet. Spannend zu werden verspricht auch der gemeinsame Auftritt von Jazz-Echo-Preisträger Michael Wollny und dem norwegischen Ausnahmesaxofonisten Marius Neset. Außerdem zu hören sind Wolfgang Haffner, der erstmals seine neue Band vorstellt, die Sängerin Lisa Bassenge und der polnische Pianist Vladyslav Sendecki.

Und zwei spannende Bands aus Island: Mit drei Bläsersektionen bringt die 20-köpfige Samúel Jón Samúelsson Big Band unvergleichlich druckvoll Funk, Afrobeat und freie Improvisation zusammen. Und das Quartett ADHD um die Brüder Óskar und Ómar Gudjónsson würzt seinen expressiv-melancholischen Instrumentaljazz mit Indierock und Weird Folk. Das Debütalbum wurde in etlichen Kategorien mit einem Icelandic Music Award ausgezeichnet, der Nachfolger „#2“ letztes Jahr für den Nordic Music Prize nominiert.ROBERT MATTHIES

■ Do, 27. 6. bis So, 30. 6., Gelände der Evers-Werft in Timmendorfer Strand/Niendorf, www.jazzbaltica.de

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