Geht doch, Herr Nachbar Scholz

REKOMMUNALISIERUNG Lübeck kauft sich seine Stadtwerke zurück – wenn Kiel das erlaubt. Das wäre Vorbild für Hamburg und Berlin, wo im September Volksentscheide anstehen

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Die Hansestadt Lübeck will ihre Stadtwerke wieder komplett in die eigene Regie übernehmen. Das beschloss die neue Bürgerschaft auf ihrer ersten Sitzung. SPD, Grüne, Linke, Freie Wähler und die Piraten-Partei-Fraktion stimmten dafür, den Minderheitsanteil des dänischen Staatskonzerns Dong für 42,3 Millionen Euro zurückzukaufen. Dadurch könnten die Weichen zur Energiewende wieder eigenständig in Lübeck gestellt werden, so Ratsherr Thorsten Fürter (Grüne). Dagegen votierten CDU, FDP und die Bürger für Lübeck.

Dong will seine Beteiligung von 25,1 Prozent an den Stadtwerken verkaufen. Lübeck kann bis zum 4. Juli ein Vorkaufsrecht ausüben, sonst gehen die Anteile an die zu 100 Prozent städtischen Stadtwerke Aachen. Laut Bilanz 2012 haben die Lübecker Stadtwerke einen Gewinn vor Steuern von 22,4 Millionen Euro gemacht. Als Reingewinne gehen 15 Millionen Euro an die Stadt und 3,5 Millionen Euro an Dong.

Ungewiss ist, ob die Kommunalaufsicht des Landes dem Geschäft zustimmt. Denn Lübeck ist mit mehr als einer Milliarde Euro verschuldet und braucht deswegen die Zustimmung des Innenministeriums in Kiel. Das hatte Ablehnung signalisiert – wenn die Stadt nicht bis Anfang Juli ein schlüssiges Finanzierungskonzept vorlegt.

Etwa 170 Kommunen bundesweit haben in den vergangenen Jahren ihre einst ganz oder teilweise privatisierten Versorgungsunternehmen zurückgekauft. Allein in Norddeutschland sind inzwischen fast 250 Stadtwerke im Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) organisiert. Dessen Präsident war bis 2012 der langjährige hannoversche Oberbürgermeister und jetzige niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

Dessen Hamburger Amtskollege Olaf Scholz muss sich – ebenso wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (beide SPD) – am 22. September zeitgleich zur Bundestagswahl einem Volksentscheid über die kommunale Energiepolitik stellen. Die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ will die vollständige Übernahme der von Vattenfall und Eon betriebenen Verteilnetze für Strom, Gas und Fernwärme durch die Stadt.

Scholz hat versucht, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen: Für 543,5 Millionen Euro kaufte die Stadt im vorigen Jahr 25,1 Prozent an den Netzen zurück, ein vollständiger Rückkauf aber sei „nicht finanzierbar“: In Hamburg sind für die vollständige Kommunalisierung der Netze etwa 1,5 Milliarden Euro erforderlich. Nach der Rechnung der Initiative erwirtschaften Kommunen mit den Netzen indes eine solide Rendite – und können den Kaufpreis mittelfristig refinanzieren.