Und die Regierenden schauen weg

Angriff auf Flüchtlingscamp

Nun wird über türkischen Rassismus geredet statt über Flüchtlingspolitik

Still war es geworden um das Flüchtlingscamp am Kreuzberger Oranienplatz, ganz still. Dass dort und in einer nahen Schule seit Oktober immer noch über 100 Flüchtlinge für mehr Rechte protestieren, war fast in Vergessenheit geraten.

Es ist eine denkbar tragische Wendung, dass ausgerechnet ein Messerangriff auf einen Flüchtling das Protestcamp diese Woche wieder in den Fokus rückte. Und es sogleich infrage stellte – entluden sich mit dem Vorfall schließlich auch Spannungen mit der Nachbarschaft, die sich in den letzten Monaten um das Zeltlager aufgebaut hatten. Was die CDU motivierte, nichts Hilfreicheres vorzuschlagen als ein schnelles Ende des Camps.

Dabei waren der Partei und sonstigen Regierungsverantwortlichen die Protestflüchtlinge in den letzten Monaten herzlich egal. Als diese noch hungerstreikten, kamen Senatoren und Bundespolitiker wenigstens noch vorbei. Nur die Forderungen der Asylbewerber, die blieben unbeantwortet. Der Polittross zog ab. Die Menschen aber, die hierherkamen, weil sie Schutz suchten, vegetierten weiter in Zelten. Erst bei Minusgraden, nun bei Hochsommerhitze. Mitten in der Stadt.

Die Forderungen der Flüchtlinge – keine Abschiebungen, keine Sammellager, keine Residenzpflicht – seien irreal, begründet CDU-Mann Kurt Wansner seine Abzugsforderung. „Was getan werden konnte, wurde getan.“ Das aber war außer manch wohlwollendem Wort: nichts. Und wenn schon nicht auf die großen Forderungen der Asylsuchenden eingehen, warum nicht zumindest im Kleinen Perspektiven eröffnen? Kreuzbergs grüner Bürgermeister Franz Schulz brachte etwa ein Bleiberechtsangebot an die Flüchtlinge ins Spiel, als „humanitäre Geste“. Nur die, die das entscheiden könnten – sie schweigen.

Nach dem Messerangriff ist das ja auch kommod: Da kommen sich Deutschtürken, zu denen der Angreifer gehörte, und Asylbewerber ins Gehege. Nun lässt sich über türkischen Rassismus reden, über aggressive Flüchtlinge. Nicht geredet wird über das untätige Wegducken der Politik.

Am Montag sollen Anwohner und Flüchtlinge am runden Tisch miteinander ins Gespräch kommen. Selbst wenn das die Situation vor Ort entschärft – das eigentliche Problem der Flüchtlinge löst es nicht.

KONRAD LITSCHKO