Rodeln ins Glück

Georg Hackl, 39 Jahre alt, könnte im Eiskanal von Cesana Pariol seine sechste olympische Medaille hintereinander gewinnen

AUS TURIN FRANK KETTERER

Der Hackl-Schorsch stand da, blickte auf die vom Flutlicht beschienene Rodelbahn von Cesana Pariol, und dass er schlechte Laune hatte, konnte man nicht nur sehen, sondern auch hören. „Eine Schikane“ sei das, schimpfte Hackl, und gemeint war damit dieser Tatbestand: Nur drei Umkleidekabinen haben die Italiener an die olympische Rodelbahn gebaut – und die größte davon gleich fürs eigene Team reserviert. Während sich beim vorolympischen Training in den Kabinen eins und zwei also die ganze Welt drängelte, genossen die olympischen Hausherren in Hütte drei jede Menge Platz und, vor allem: Ruhe. Was der Hackl-Schorsch nicht nur als recht gastunfreundlich empfand, sondern ihn zum Gegenangriff zwang: Der 39-Jährige enterte das Domizil der Italiener und quetschte sich in aller Ruhe neben seinem Südtiroler Medaillenkonkurrenten Armin Zöggeler in den Rennanzug.

Zu einer Spitzenleistung hat es im letzten Trainingslauf aber nicht gereicht, ganz im Gegenteil: Nur 18. war Hackl geworden, fast eine halbe Sekunde lag er hinter den Besten. Da könnte man jetzt auf die Idee kommen, dass man sich Sorgen machen muss um den Hackl-Schorsch. Andererseits könnte man auch denken, dass alles bestens bestellt ist, weil es immer so war, dass er vor einem Großereignis geblufft und dann doch wieder einen rausgehauen hat. Zumal es speziell in Cesana Pariol guten Grund gab, nicht mehr allzu schnell zu fahren, schon wegen des Materials.

Die Bahn in den Bergen von Turin gleicht ja noch ein wenig einer Baustelle, und wenn der Wind darüberweht, bläst er feinen Staub hinüber aufs Eis. Hackl hat das gar nicht gefallen, wegen der Kufen. „Die waren nach zwei Trainingsläufen sehr zerstört“, schimpfte der 39-Jährige. Kaum anzunehmen, dass er im letzten Probedurchgang sein bestes Material fuhr und einen Defekt riskierte, zu viel steht dafür auf dem Spiel. Es werden ja seine vier letzten Rodelfahrten sein diesen Samstag und Sonntag, und dass er sich für diese noch mal Großes vorgenommen hat, gilt als gesichert. Dreimal hat er olympisches Gold gewonnen, zweimal Silber. Nun, in Turin, geht es um nichts weniger als um eine Schlittenfahrt in die Geschichtsbücher: Am Sonntagabend kann Hackl der erste Athlet werden, der bei sechs Olympischen Winterspielen in Serie eine Medaille gewinnt.

„Ich will mir noch einmal den Medaillentraum erfüllen“, sagt der 39-Jährige, und es ist das erste Mal, dass er seine Zurückhaltung aufgibt und in sein Inneres blicken lässt. Dort, so hatte es im Laufe all der Jahre bisweilen den Anschein, geht es eher schlicht und einfach zu. Hackl, das war der rodelnde Bayer, der des Abends in irgendeinem Kufernstübel abhängt und sich dabei ein paar Weizenbiere hinter den Gamsbart schüttet. Sein ausgeprägtes Bayrisch hat diesen Eindruck durchaus verstärkt, vor allem wenn er es Hochdeutsch versucht hat. Andererseits, und das darf man wirklich nicht außer Acht lassen: Der Bursche ist nun über 15 Jahre Weltspitze, ein Jahrzehnt davon war er der Beste seines Fachs.

Das wird man nicht einfach so. Zumal Hackl keineswegs nur auf den Schlitten sitzt, ein bisschen mit den Armen paddelt und dann die Röhre hinunterschießt, das können die anderen auch. Aber kein anderer feilt und tüftelt so akribisch am Material wie der gelernte Werkzeugmacher. Andere lassen sich ihre Schlitten von Ingenieuren in Forschungsinstituten zusammenbauen und optimieren – Hackl hingegen macht so gut wie alles selbst. Gut gelaufen ist die Saison bislang dennoch nicht.

Erst ließ er sich an der Bandscheibe operieren, dann behinderte ihn einer Nervenentzündung am linken Arm, kurz vor Olympia setzte ihn auch noch ein fiebriger Infekt außer Gefecht. „Ich hatte noch nie eine Saison, die so schlecht gelaufen ist wie diese“, sagt der 39-Jährige, aber das darf jetzt keine Rolle mehr spielen. Zumal es ja auch Punkte gibt, die für Hackl sprechen. Die Bahn zum Beispiel, die als schwer gilt und eine hohe Fahrtechnik fordert. Das kommt ihm entgegen, zumal der Start lang und steil ist und sich somit Hackls immer noch vorhandenes Kraftdefizit im linken Arm weniger auswirkt.

Außerdem werden bei Olympia nicht nur zwei, sondern vier Läufe gefahren, und dazwischen liegt eine Nacht, die lang werden kann, wenn der Kopf plötzlich zu arbeiten beginnt. „Vier Läufe muss jeder erst mal fahrerisch und mental durchstehen“, sagt Hackl. Er weiß, dass er es kann, er hat es ja schon bewiesen. Warum sollte es nicht erneut gelingen? Aber dann, was kommt dann? Trainer möchte er werden. Und sich in die Athleten-Kommission des IOC wählen lassen. Auf jeden Fall aber soll Schluss sein mit der eigenen Rodlerei, so oder so.

Der Hackl-Schorsch steht da, blickt auf die Rodelbahn von Cesana, und sagt: „Mein Körper hat mir deutliche Signale gegeben, dass Schluss sein muss. Ich muss anfangen, wie ein normaler Mensch zu leben.“