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WEITBLICK Die Stiftung „Focus on Vision“ kämpft weltweit gegen Sehbehinderungen

„Focus on Vision“ will bis 2020 rund zehn Millionen Brillen für Bedürftige weltweit produzieren

AUS GAMEREN CHRISTOPHER F. SCHUETZE

Der Kampf von Frederik van Asbeck begann vor zwölf Jahren. Mit einer banalen Beobachtung: Dem damals 24-Jährigen fiel auf, dass niemand von seinen Freunden in Tansania eine Brille trug, viele seiner Studienkollegen an der Technischen Universität von Delft in den Niederlanden hingegen schon. Nicht, dass die holländischen StudentInnen schlechtere Augen gehabt hätten als die Tansanier. In den Vororten von Daressalam, der größten Stadt des Landes am Indischen Ozean, war es einfach nur schwer, eine Brille zu bekommen.

Als van Asbeck 2001 aus Afrika zurückkehrte, entdeckte er, dass es für dieses Problem eine einfache Lösung gab: preiswerte, individuell verstellbare Gläser, mit denen bis zu sechzig Prozent aller Sehschwächen korrigiert werden können. Van Asbeck machte an der Delfter Uni seinen Abschluss in Produktdesign und gründete gemeinsam mit seinem Stiefvater, Jan In’t Veld, die Stiftung „Focus on Vision“.

Verstellbare Gläser

Nach fünf Jahren Forschung begann die Stiftung 2009 mit der Produktion. Seitdem haben die Niederländer 250.000 Brillen in 37 Länder geliefert. Focus on Vision ist zu einem der Hauptakteure im weltweiten Kampf gegen Sehbehinderungen geworden. Das System der individuell einstellbaren Brillengläser basiert auf den Arbeiten des 1988 verstorbenen US-Physikers Luis Alvarez. 1968 erhielt Alvarez den Nobelpreis. Die heute produzierten Brillen heißen „Focusspecs“ und bestehen aus zwei übereinanderliegenden, verschiebbaren Linsen. Diese lassen sich – durch ein Rädchen im Bügel – je nach Grad der Sehschwäche von –1.0 auf bis zu –5.0 oder von +0,5 auf bis zu +4,5 Dioptrien einstellen.

Die Brillen gibt es in sieben verschiedenen Farbtypen: Man kann wählen zwischen den Modellen „Wasser“, „Frosch“, „Henna“ oder „Himbeere“. Allerdings sind die schwarzen und braunen Gestelle die beliebtesten. Die Modelle von Focus on Vision sind bereits bei diversen Designwettbewerben ausgezeichnet worden.

Das Erfolgsgeheimnis besteht nicht nur darin, dass viele Brillen kostenarm produziert und an die jeweilige Sehstärke angepasst werden können. Sondern sie sind auch, etwa für die Menschen in Tansania, bezahlbar. In’t Veld findet, dies sei ein Beispiel dafür, wie eine einfache Erfindung für die Lösung eines komplexen Problems genutzt werden könne.

Er hat vor Ort erlebt, wie schlechtes Sehvermögen die Lebensqualität beeinflusst: „Kinder, die Tafelbilder nicht erkennen können, sind die Ersten, die von der Schule abgehen. Sie sind dazu verdammt, Luftballons oder billiges Plastikspielzeug zu verkaufen.“

Kurz- oder Weitsichtigkeit sowie Hornhautverkrümmungen sind für die Armen dieser Welt vermutlich nicht so dramatische Herausforderungen wie Hunger oder Mangelernährung. Dennoch: In vielen sich entwickelnden Ländern mangelt es an Augenärzten und Optikern. Die verschriebenen Brillen können sich Betroffene kaum leisten.

Die großen sozialen und ökonomischen Auswirkungen dieses Problems sind nicht zu unterschätzen. Menschen ohne Sehschwäche oder mit entsprechenden Sehhilfen haben langfristig eine bessere Lebensqualität und verdienen mehr Geld. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besagt, dass es weltweit einen Produktivitätsverlust von vermutlich mehr als 400 Milliarden Dollar gibt, weil Menschen nicht richtig sehen können.

Focus on Vision hat in Ghana die Sehkraft von mehr als 1.800 Studierenden untersucht und festgestellt, dass nur einer von ihnen eine Brille brauchte. Jan In’t Veld wertet dies als Beweis, dass Leute mit nicht korrigierten Sehschwächen kaum Zugang zu Schulen, Colleges und Universitäten haben. Die International Agency for the Prevention of Blindness (IAPB) schätzt, dass es weltweit etwa 250 Millionen Menschen mit nicht korrigierten Sehschwächen gibt. Andere Schätzungen gehen von einer Milliarde aus. Die WHO und die IAPB haben das Ziel, bis zum Jahr 2020 alle korrigierbaren Sehschwächen zu beheben.

Auch Focus on Vision will in den nächsten zehn Jahren zehn Millionen Brillen produzieren. Die Linsen für Focusspecs werden im Dorf Gameren in der Nähe von Utrecht produziert. Im Spritzgussverfahren fertigt eine Hochdruckmaschine, die eigentlich für die Herstellung billiger CDs und DVDs entwickelt wurde, die Linsen. Geplant ist, die Gestelle zukünftig möglichst außerhalb der Niederlande herzustellen. Auch wenn andere humanitäre Gruppen ebenfalls verstellbare Brillen produzieren, „kann niemand so preisgünstig produzieren wie wir“, sagt Macher In’t Veld. Etwa 80 Prozent der Focusspecs werden von Hilfsorganisationen verteilt, die sie bei Focus on Vision zum Selbstkostenpreis einkaufen. In’t Veld will die Produktionskosten für die Brillen nicht beziffern, sagt aber, dass Transport und Einfuhrzölle die meisten Kosten verursachen würden.

Symbolischer Preis

Die Hilfsorganisationen zahlen zwischen fünf und 18 Euro für jede Brille. Sie verkaufen die Brillen dann vor Ort zu einem symbolischen Preis, statt sie einfach zu verschenken. „Die Leute sollen das Gefühl haben: Das ist meine Brille!“, sagt In’t Veld.

Um die Menschen mit den Brillen zu versorgen, die sie brauchen, bilden die Hilfsorganisationen „Seh-HüterInnen“ aus. Das sind LehrerInnen, Krankenpflegekräfte oder Gemeindevorsteher, die bei der Sehstärkenprüfung, der Verteilung und der Einstellung der Brillen helfen. Die „Seh-HüterInnen“ lernen, Augenkrankheiten zu erkennen und die Betroffenen an medizinische Einrichtungen zu verweisen. Der Ansatz von Focus on Vision, das Produkt an die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen anzupassen, erscheint wesentlich direkter als der anderer Hilfsorganisationen, die den Weg über nationale Gesundheitssysteme, Krankenhäuser und Augenärzte nehmen. „Ein einfaches Problem wird zu einem medizinischen überhöht“, findet In’t Veld.

Auch John Friedman, Professor an der Universität von Utrecht, der Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Namibia leistet, engagiert sich bei der Stiftung. Zuvor hatte er versucht, Menschen mit Sehschwächen individuell zu helfen. „Ich weiß noch, wie ich Geld für eine einzelne Brille gesammelt habe“, sagt Friedman. Kürzlich hat der Brillenträger sich bereit erklärt, in einer ländlichen Schule in Namibia 120 Focusspecs zu verteilen, und zwar vor allem an Schüler aus der letzten Reihe.

Er hatte festgestellt, dass viele Kinder aus der ersten Reihe nach vorne gingen, wenn sie etwas sehen wollten, während die in der letzten Reihe nicht mal wahrnahmen, was sie verpassten. Er bot allen sehschwachen Kindern eine Brille an, sie mussten ihm aber versprechen, nach zwei Wochen zu berichten, wie es ihnen ergangen war. „Die Brillen erfüllen ihren Zweck“, sagt Friedman zufrieden.

Aus dem Englischen von Heike Brandt