Blanka Ehrgeiz

HOCHSPRUNG []Nach langer Leidenszeit hat sich die Kroatin Blanka Vlasic zurück in die Weltspitze gekämpft. Doch sie ist bescheidener geworden – und kann sich auch über sportliche Erfolge in der deutschen Provinz freuen

„Ich habe in meinem Herzen gefühlt, dass ich noch nicht fertig bin mit dem Hochsprung“

BLANKA VLASIC ÜBER IHR SEELENLEBEN

AUS BÜHL FRANK KETTERER

Und dann übermannten Blanka Vlasic die Emotionen, einfach so, und ohne dass sie sich dagegen hätte wehren können. Die ein oder andere Träne füllte ihre Augen, sie sank auf den Boden und verharrte dort ein paar Sekunden. Als sie sich wieder erhob, standen in ihren Augen zwar immer noch Tränen, vor allem aber standen dort: Glück und Stolz. Der Grund für all das war auf der kleinen Anzeigetafel gleich daneben notiert. Die Zahl 2,00 war dort angeschrieben, exakt 2 Meter hoch war Blanka Vlasic also gerade gesprungen. Noch vor einiger Zeit wäre das der Kroatin kaum ein Lächeln wert gewesen, nun aber löste es ein tosendes Meer von Gefühlen in ihr aus, das sie selbst kaum in Worte fassen konnte. „Damit hatte ich heute nicht gerechnet. Ich bin so glücklich“, bekannte sie schließlich via Stadionmikrofon – und schlug erneut die Hände vors Gesicht.

Um die Größe des Augenblicks begreifen zu können, muss man wissen, dass Blanka Vlasic einmal die mit Abstand beste Hochspringerin der Welt war. Zweimal Weltmeisterin war die 29-Jährige (2007 und 2009), zudem Olympiazweite 2008 in Peking. Über 100-mal ist sie schon über die Schallmauer von 2 Metern gesegelt, ihre persönliche Bestleistung steht bei 2,08 Metern, das ist nur 1 Zentimeter weniger als der Uraltweltrekord von Stefka Kostadinowa. Vlasic galt jahrelang als so gut wie unschlagbar, dann begann ihre lange Leidenszeit. Vor knapp zwei Jahren splitterte ein Stück Knochen im Knöchel ihres Sprungbeins ab.

Die Operation, eigentlich ein Routineeingriff, zog eine bakterielle Infektion nach sich, immer wieder kam es zu Komplikationen, die den Heilungsprozess bremsten und aus dem Routineeingriff mehr und mehr ein Martyrium machten. „Dunkle Ecken in ihrer Seele“, erinnert sich die 29-Jährige, habe sie in dieser Phase kennengelernt. Immer wieder habe sie sich die Frage gestellt: „Warum ausgerechnet ich?“ Warum sie dennoch nie ans Aufhören gedacht hat und an ein Karriereende? „Ich habe in meinem Herzen gefühlt, dass ich noch nicht fertig bin mit dem Hochsprung“, sagt sie. Sie ist diesem Gefühl mit dem gleichen Ehrgeiz nachgegangen, mit dem sie einst zur weltbesten Hochspringerin wurde: Noch bevor sie wieder rennen oder gar springen konnte, feilte sie schon an Fitness, Kraft und Kondition. „Auch an Tagen, an denen ich am liebsten im Bett geblieben wäre und mir die Decke über den Kopf gezogen hätte, habe ich mich zusammengerissen und trainiert, so viel ich konnte, auch wenn es manchmal nur wenig war “, blickt sie zurück.

Erst im Frühjahr konnte sie wieder mit dem Springen beginnen. Erst mit vier Schritten Anlauf, dann mit sechs, später mit acht. Vor ihrem ersten Wettkampf nach fast zweijähriger Pause Ende Mai in New York hatte sie ein bisschen Angst – und gewann mit 1,94 Metern. „Die höchsten 1,94 Meter meines Lebens“ nennt sie die im Rückblick. Nun ist sie im badischen Bühl die höchsten 2 Meter ihres Lebens gesprungen.

Fest steht: Blanka Vlasic ist zurück in der Weltspitze. Bühl war der Ort ihrer Wiedergeburt als Weltklassespringerin, auf Platz zwei der aktuellen Weltrangliste hat sie sich katapultiert, nur die Russin Anna Chicherova ist dieses Jahr schon höher gesprungen. Es war ein langer Weg zurück, ein schwerer – und keine wüsste das besser als eine der ersten Gratulantinnen – Ariane Friedrich. Auch sie war schließlich im Badischen am Start, die einstige Rivalin, die ebenfalls mit einem schweren Rückschlag zu kämpfen hat. Ende des Jahres 2010 riss der Frankfurterin die Achillessehne. Seitdem kämpft auch sie um ihre Rückkehr, so richtig voran geht es allerdings nicht. In Bühl musste Friedrich den Wettkampf nach dem Sprung über 1,90 Meter wegen Schmerzen im linken Knie abbrechen. Wie es bei ihr weitergeht, istt offen. Die Qualifikationshöhe für die Leichtathletik-WM in Moskau (10. bis 18. August) ist sie jedenfalls noch nicht gesprungen. Für Blanka Vlasic hingegen scheint ab sofort wieder alles möglich, nicht nur bei der WM in Moskau, sondern auch nächstes Jahr, bei Olympia in Rio. Unter Druck setzen lassen will sich die Kroatin dadurch allerdings nicht. Die Zeiten sind vorbei, findet sie. Denn sie sei reifer geworden. „Alles, was jetzt noch kommt, ist Bonus“, sagt sie. Es war ein langer, schmerzhafter Weg bis zu diesem Satz.