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Wiederentdeckung der Windmaschine

FLORENCE + THE MACHINE Florence Welch, 23 Jahre jung, ist nicht nur ein Medienereignis. Sie kann auch gut singen, was sie im Astra Kulturhaus ausgiebig zeigte. Popmusik im Sinne von Disco

Florence Welch kam mit einem schwarzen Nichts bekleidet auf die Bühne, schüttelte ihr hennarotes Haare und gab sich windigen Posen hin

Also mal echte Popmusik. Popmusik im Sinne von: Radioeinsatz, Videoclips, ausverkauftes Konzert, junge aufgehübschte Menschen. Frauen mit Glitzerstrumpfhosen und hohen Absätzen, ordentlich tortig, junge Männer in engen T-Shirts und Fitnessstudioerfahrung. Popmusik im Sinne von Disko. Von Diskoschlampentum. Von Feier des Feierabends. Dazu am Freitagabend. Florence + The Machine im Astra Kulturhaus.

Tatsächlich war eine äußerst feierfreudige Masse zugegen, aber echte Popmusik im emphatischen Sinn gab es nur bedingt. Was es gab, waren Florence und die Blumen. Florence und die weitere Etablierung der Harfe im Pop. Florence und die Wiederentdeckung der Windmaschine. Florence + The Machine sind auch keine wirkliche Band, sondern eine Ein-Frau-Show mit Hintergrundmusikern. Wesentlich ist also der Auftritt der Dame vorn, wesentlich ist die Stimme von Florence Welch. Welch kam dann auch mit einem schwarzen Nichts bekleidet auf die Bühne, schüttelte ausgiebig die hennaroten langen Haare, gab sich windigen Posen hin und animierte das Publikum mit frisch gelernten Deutschversatzstücken. Ansonsten schien sie mit Blumendeko, ein Strauß Rosen verzierte den Mikrofonständer, zum Schluss gab es gelbe Rosen für die Menge, kleiner Windmaschine und einer imposanten, tragfähigen Stimme so etwas wie die Wiederkehr von in den Achtzigerjahren beliebten Rockröhren zu sein. Taylor Dayne. Tiffany. Robin Beck. Die Liga. Nur nicht ganz so rauchig, nicht ganz so kehlig, aber durchaus immer mit dem Blick auf Rock im Sinne von Rock. Von Stadion. Von Windmaschine. Da half auch die Harfe nicht.

Heutzutage gehen Florence + The Machine als Indierock durch, warum auch immer. In England feierte die Londonerin mit ihrem Debüt „Lungs“ von 2009 große Erfolge, das Album schaffte es sogar auf Platz 1 der Charts, die Single „You Got the Love“ in der Version mit Gaststar Dizzee Rascal immerhin zu Platz 2. Fürs Album gab es sogar einen BritAward kürzlich. Für das beste Album.

Das Album stellte bis auf eine Coverversion auch das Material für dieses Konzert; und dieses Material war natürlich gut ausgeleuchtet. Die Drums gaben sich gern einmal buschig, an die Düsternis von Bat For Lashes reichte der Sound aber nicht heran. Bass, Gitarre und Keys stellten sich hauptsächlich in den Dienst der Sache, die Harfe, die von Tom Monger gespielt wurde, perlte beflissen vor sich hin, machte aber nicht den Eindruck, viel mehr als eine Last für die Roadies zu sein. Der Sound insgesamt war natürlich perfekt – und Welch, auch erst 23, kann ja auch tatsächlich singen, was sie ausgiebig demonstrierte. Sie zog die Töne, variierte die Lautstärke, zerdehnte, wo kein wortreicher Text wartete, der vom Publikum erstaunlicherweise gern mitgesungen wurde, mit Vorliebe Vokale der dunkleren Art. Keine Es oder As, dafür reichlich Os und Us.

Worum es in den Songs so ging, wurde allerdings nicht ganz klar. Vermutlich ums Gefühl. Um Leidenschaft und Hingabe, auch im Sinne von – ha, mir fällt noch eine ein: Laura Branigan, die vor einigen Jahren ein tragisches Ende auf dem Fußboden der Villa ihres Produzenten nahm – im Sinne von: Geste, Pose, Affirmation. Nicht Pop, sondern Poprock. Großer Unterschied.

Die besten Stücke waren natürlich „Rabbit Heart (Raise Up)“ und das wiedererkennbare „You Got the Love“. Wobei hier auch klar wurde, dass The XX mit ihrem Remix die deutlich bessere Version dieses Stückes geliefert haben. Sie haben Florence Welch aufs Wesentliche reduziert: Auf die Stimme, die verhexelt und verdrechselt als Sample im Hintergrund „You Got the Love“ singen darf. RENÉ HAMANN

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