am po: Chad Hedrick
Die letzten Winterspiele hat Chad Hedrick vom Spieltisch aus verfolgt. Als die Eisschnellläufer in Salt Lake City übers Eis liefen, da zockte der Texaner in Las Vegas. Beim Blackjack suchte er vorzugsweise sein Glück. Auf einem Bildschirm im Hintergrund sah er Derek Parra siegen. Den kannte er gut vom Inline-Rollschuhlauf, auch Speed-Skating genannt. Parra war rechtzeitig vor den Heimspielen im Mormonenland aufs Eis gewechselt – und sammelte als Quereinsteiger olympisches Edelmetall. Das wollte Hedrick auch, zumal er als Speedskater nicht zum Zirkel der Olympiasportler gehörte. Am Samstag hat Hedrick sich diesen Traum erfüllt: Gold über 5.000 Meter im Turiner Oval Lingotto.
Es sollen noch weitere Medaillen dazukommen. Sogar von fünf Plaketten ist die Rede, eine Marke, die Eric Heiden im Jahre 1980 in Lake Placid gesetzt hat. „Es wäre doch nett, mit ihm den Rekord zu teilen“, hat Heiden gesagt. Hedrick selbst spricht nur von drei Goldmedaillen. Der 28-Jährige will die Erwartungen dämpfen – soweit das überhaupt geht. Hedrick ist nämlich ein extrovertierter Typ, der zweifelhafte Titel trägt. Ein amerikanisches Blatt hat ihn einmal die „Paris Hilton des Eisschnelllaufs“ genannt. Ein anderes bezeichnete ihn als „großmäuligen Texaner“. Er hat aber wohl auch einen weichen Kern, wie er am Samstag andeutete: Den Triumph widmete Chad Hedrick seiner vor 13 Jahren verstorbenen Großmutter Geraldine, derentwegen er vor dem Start ein paar Tränen verdrückt haben will: „Ich habe mich wie ein Weichei gefühlt.“
Sonst pflegt er ein anderes Image: Seine Ausflüge an Hotelbars sind berüchtigt. Angeblich trinkt er vor Wettkämpfen nicht nur isotonische Wässerchen, sondern auch gern Bier – literweise. Hedrick vergleicht sich gern mit dem skandalumwitterten und trinkfesten Golfer John Daly. Derek Parra sagt über seinen Kumpel: „Bei Chad ist nichts normal. Er kann nicht joggen, nicht Rad fahren und nicht Gewichte heben. Nur mit Rollen oder Schlittschuhen unter den Füßen kommt er vorwärts.“
Durchzechte Nächte und Ausflüge in Rotlichtviertel scheinen ihm ebenso wenig auszumachen wie der Besuch der Olympia-Eröffnungsfeier, die viele Athleten meiden, weil sie einen Kräfteverschleiß fürchten. Hedricks Trainer, Bart Schouten, hatte seinem Schützling einen Aufpasser an die Seite gestellt. Unter den Augen des Anstandsonkels war Hedrick dann auch nett zur First Lady Laura Bush. „Pretty cool“ sei das Treffen gewesen, berichtete Amerikas schneller Junge, der erst seit vier Jahren auf dem Eis steht, abgesehen von einem missglückten Versuch vor neun Jahren.
„Die Leute, die mir damals ihre Unterstützung versagten, haben nicht gewusst, was für ein großes Herz ich habe“, sagte Chad Hedrick am Samstag – mit geschwellter Brust. MARKUS VÖLKER
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