al forno
: Dem das Lächeln gefriert

FRANK KETTERER weiß, warum der Österreicher Walchhofer dem Franzosen Deneriaz das Abfahrts-Gold überlassen muss

Die Minuten unten im Ziel sind die grausamsten. Man hat schließlich seinen Job gemacht, und man hat ihn gut gemacht, sonst würde man jetzt nicht hier stehen als Führender. Aber noch ist diese Führung trügerisch, weil das Rennen noch in vollem Gange ist und all die wilden Burschen dort oben nichts anderes wollen als schneller sein als der Rest. Es sind Minuten zwischen Hoffen und Bangen, und selbst wenn die Führenden dabei lächeln, so kann man doch leicht erkennen, dass es ein sehr gequältes Lächeln ist und nicht viel mehr als eine tapfere Fassade. Darunter aber liegen die Nerven blank.

Michael Walchhofer hat lange da unten gestanden am sonnigen Sonntag von Sestriere Borgata. Mit Startnummer 10 hatte sich der Österreicher in die Olympische Abfahrt auf der Kandahar Banchetta gestürzt, und als er die 3.299 Meter Steilpiste hinter sich gebracht hatte, als er also hindurch gesaust war durch Halfpipe und Salto Marmotta, da leuchtete auf den Uhren die Zeit von 1:49,52 Minuten auf, was Bestzeit bedeutete, weshalb Walchhofer prompt sein tapferstes Lächeln anknipste. Er musste es lange angeschaltet lassen – und je länger es brannte, umso entspannter wurde es. Schließlich kamen im Laufe der grausamen Minuten immer mehr der Topfavoriten ins Ziel – und alle wurden sie dort langsamer gemessen als der Mann aus Altenmark. Erst Bruno Kernen, der Schweizer, der mit 1:49,82 Minuten zwar auch verdammt flott unterwegs war und am Ende Dritter wurde, aber eben doch nicht flott genug, um Walchhofer zu verdrängen. Gleich darauf Hermann Maier, der große Herminator, der 1:50 Minuten glatt benötigte und am Ende Sechster wurde, nur Sechster. Schließlich Bode Miller sowie Daron Rahlves, die beiden hoch gewetteten Amerikaner. Bei jedem begann Walchhofers Herz ein wenig schneller zu schlagen vor Aufregung, und nach jedem von ihnen lächelte er doch noch ein wenig entspannter, weil auch Miller und Rahlves bei weitem nicht an seine Zeit heranreichen konnten, ganz im Gegenteil.

Irgendwann waren sie dann alle unten, die mehr oder weniger Favoriten – und Walchhofers Lächeln wirkte nun doch schon ziemlich entspannt, fast schon wie das eines Olympiasiegers. Dann kam Antoine Deneriaz. Der Franzose hatte zwar das Abschlusstraining am Vortag gewonnen, aber dem wurde keine große Bedeutung beigemessen, schon weil der Beste des letzten Trainings im Rennen mit der Startnummer 30 und somit als Letzter der ersten Startgruppe ins Rennen musste. Die Topfahrer mögen das nicht, weil die Piste meist schon ruppig ist und somit schlecht für den Speed. Außerdem war Deneriaz in diesem Winter im Weltcup nicht über einen siebten Platz bei der Abfahrt in Val Gardena hinausgekommen; sein letzter Weltcupsieg datiert gar aus der Saison 2003/2004, im folgenden Winter hatte er sich bei einem Sturz einen Kreuzbandriss im linken Knie zugezogen, der ihn doch lange außer Gefecht gesetzt hatte.

Walchhofer dürften all diese Dinge einigermaßen beruhigt haben. Aber dann lag der Franzose schon bei der ersten Zwischenzeit vorn – und plötzlich fing das Herz des Österreichers wieder an wie wild zu pochen. Bei der zweiten Zwischenzeit hatte Deneriaz seinen Vorsprung deutlich ausgebaut – und Walchhofer gefror das Lächeln. Kurze Zeit später schließlich durchfuhr Deneriaz das Zielportal in 1:48,80 Minuten und damit sagenhafte 72 Hundertstelsekunden schneller als Walchhofer. Der Franzose schnallte seine Ski ab, sank flach auf den Boden und sagte: „Ich kann es nicht fassen. Ich hatte eine harte Zeit und musste nach meiner Verletzung kämpfen. Aber ich wusste, dass ich gut fahren kann. Das ist der schönste Tag in meinem Sportlerleben.“ Der geschlagene Michael Walchhofer stand daneben, gratulierte dem neuen Olympiasieger als Erster und sagte: „Er hatte eine perfekte Fahrt. Am Anfang habe ich ein langes Gesicht gemacht, aber jetzt bin ich zufrieden.“

Das konnte sein Landsmann Hermann Maier keineswegs von sich behaupten. Mit Startnummer 15 war der Herminator ins Rennen gegangen, schon zu diesem Zeitpunkt des Rennens als Dritter ins Ziel gekommen, am Ende gar nur Sechster geworden. Dabei hätte es doch die große Geschichte dieser Spiele werden können: Wie der 33-Jährige endlich doch noch Abfahrts-Olympiasieger wird, nachdem er 1998 in Nagano so Furcht erregend gestürzt war und 2002 in Salt Lake City wegen eines Motorradunfalls gefehlt hatte. Maier hat alles schon gewonnen, nur dieses Gold fehlte ihm noch. Es wird ihm auch weiterhin fehlen. „Der Sieg war heute absolut nicht drin. Ich hatte einfach nicht die Kraft. Ich war vollkommen fertig und leer, eben saft- und kraftlos“, befand Maier, den eine Grippe im Vorfeld geschwächt hatte und der nun auf Super-G und Riesenslalom hofft. Wenigstens das grausame Warten im Zielraum wurde ihm am Sonntag erspart.