Kombilohn für Hettich

Nach zwei Skisprüngen und einem Langlauf-Rennen gewinnt der Schwarzwälder überraschend die olympische Goldmedaille

AUS PRAGELATO FRANK KETTERER

Diese eine Sache musste noch geklärt werden, schon der Vollständigkeit wegen. Ob er denn bei der Siegerehrung auch ein paar Tränen verdrückt habe vor lauter Rührung, wurde Georg Hettich also gefragt, und als der junge Mann aus dem Schwarzwald dies mit einem sanften Ja bestätigte, konnte ihn der Fragesteller doch prompt auf einen Fehler hinweisen, der sich an diesem Samstagnachmittag auf der Homepage Hettichs eingeschlichen hatte. Dort, so der gut informierte Mann von der Presse, stehe nämlich geschrieben, dass Hettich das letzte Mal geweint habe, als er seine Kontaktlinsen falsch behandelt habe. Das ist nun nachrecherchiertermaßen falsch – und weil Hettich ein feiner Kerl mit guten Manieren zu sein scheint, versprach er prompt und lächelnd: „Ich werde es gleich morgen ändern.“

Man sollte es Georg Hettich nachsehen, wenn er dazu erst mal nicht die Zeit findet. Er ist seit Samstag schließlich Olympiasieger, der erste deutsche in der Nordischen Kombination seit 26 Jahren sogar –, da hat er jetzt bestimmt ein bisschen was anderes zu tun, als ein paar Tränen von der Homepage zu wischen. Ein Besuch auf der Seite (www.georg-hettich.de) sei dennoch angeraten, weil es da durchaus ein paar Dinge über den 27-Jährigen zu erfahren gibt, die man jetzt besser wissen sollte. Zum Beispiel, dass er mit fünf zum ersten Mal auf Skiern stand und mit sieben auf einer Schanze. Oder dass er sein Abi auf dem Ski-Internat in Furtwangen gebaut hat und seit dem Jahr 2000 studiert, allerdings nur im Sommer. Außerdem findet Hettich lange frühstücken richtig klasse und würde gern einmal mit einem Segelboot durch die Karibik schippern. Vor allem aber gut trifft sich, dass er gerne Autogramme gibt, dazu wird er in nächster Zeit nämlich bestimmt ausreichend Gelegenheit bekommen.

Dass man all diese Dinge selbst als Reporter nicht schon längst gewusst hat, mag zwar seltsam anmuten, ist aber der Tatsache geschuldet, dass dem 27-Jährigen bisher eher eine Nebenrolle zugekommen ist unter Deutschlands Kombinierern. Zwar war auch Hettich schon Olympiazweiter sowie zweimal Vizeweltmeister, aber eben stets mit dem Team und somit im Schatten von Ronny Ackermann und Björn Kircheisen, den beiden deutschen Stars der Branche. Im Einzel hingegen hat es bei Großveranstaltungen für Hettich noch nie zu einer Medaille gereicht, mehr als zweimal Rang vier bei der WM 2003 in Val di Fiemme stand in seiner Bilanz bislang nicht verzeichnet, selbst ein Weltcupsieg fehlt da noch. Bei dieser Vorgeschichte ist es nur verständlich, dass es eine Weile dauerte, ehe Hettich sein eigenes Wunder von Pragelato erklären konnte, er war doch selbst „so überrascht“ davon. So sehr jedenfalls, dass er selbst nach Platz eins im mittäglichen Springen noch nicht an eine Medaille denken wollte. Bei 101,5 und 104 m war er gelandet, was natürlich gut war, aber ihm selbst nicht gut genug schien, um damit durchzukommen. Hettich gilt schließlich als Springer-Typ, was heißen soll: Wenn er in Teil eins nicht genügend Polster zwischen sich und die Konkurrenz legen kann, steht er im anschließenden Langlauf eher auf verlorenem Posten. Am Samstag schien ihm das Polster viel zu gering, vor allem die umgerechnet 1:38 Minuten Vorsprung auf den Finnen Hannu Manninen, dem überragenden Athleten dieses Winters, sowie die 1:52 Minuten auf den Österreicher Felix Gottwald bereiteten ihm Sorgen. Dass Ronny Ackermann hingegen mit zwei Sprüngen auf 92,5 m und dem daraus resultierenden Platz 26 aus dem Rennen war, konnte da auch nicht wirklich Trost und Hoffnung spenden, die beiden sind schließlich Teamkameraden.

„Die andern werden kommen“, prophezeite Hettich jedenfalls vor dem finalen 15-km-Lauf, und bei Hermann Weinbuch dürften diese Worte eher ungute Gefühle geweckt haben. Der Bundestrainer schätzt Hettich zwar als fleißigen und strebsamen Mitarbeiter, „aber in der Vergangenheit“, verriet Weinbuch später, „hat es ihm doch immer an der letzten Entschlossenheit gefehlt: dass er die Chance nutzt, wenn sie sich bietet“. Viele Gespräche hat Weinbuch darüber mit Hettich geführt, um das eher wackelige Selbstvertrauen zu stärken, zudem vehement an der Laufschwäche gearbeitet. In der letzten Saison hatte das noch den neutralisierenden Effekt, dass Hettich zwar deutlich schneller in der Loipe wurde, dafür aber nicht mehr so weit sprang. So was kann vorkommen, die Kombination ist eine komplizierte Angelegenheit. In diesem Winter aber hat Hettich bereits angedeutet, dass er beide Disziplinen in Einklang bringen kann. „Er hat das Laufen stabilisiert und springt wieder besser“, sagt Weinbuch.

Ganz nebenbei scheint dadurch auch Hettichs Selbstvertrauen gewachsen zu sein, auch wenn es am Samstag zunächst nicht ganz den Anschein hatte. Zwar machte er vorne im Verbund mit dem Norweger Petter Tande und dem Finnen Jaakko Tallus ein blitzsauberes Rennen, andererseits waren etwas weiter hinten auch Manninen und Gottwald sowie der Norweger Magnus Moan rege. Bei Kilometer 9,5 war Hettichs Polster auf 42 Sekunden geschrumpft, und es fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: „Bitte nicht wieder der vierte Platz“, also so wie 2003 in Val di Fiemme. Es war just dies aber auch der Zeitpunkt, in dem sich das Rennen zu seinen Gunsten entscheiden sollte: Ausgerechnet Manninen, der große Dominator dieser Saison, platzte weg und mit ihm die ganze schöne Taktik von Gottwald und Moan. „Ich wollte möglichst lange hinter ihm bleiben“, gab der Norweger später zu, um Manninen die Arbeit machen zu lassen und selbst Kräfte zu sparen. Auch Gottwald erkannte plötzlich, dass es nun höchste Zeit war, selbst Initiative zu ergreifen und die Lücke zum Führungstrio zu schließen.

„Wir lagen zu diesem Zeitpunkt definitiv nicht auf Medaillenkurs“, befand der Österreicher später. Zwar hatten Gottwald und Moan diesen vor dem letzten Anstieg doch noch eingeschlagen, für ganz nach vorne aber war es da schon zu spät. „Die haben zu lange gebummelt und dann zu spät Gas gegeben. Das ist gefährlich“, analysierte Bundestrainer Weinbuch, weil der Motor dabei leicht überdreht werden kann. Just so sollte es sein: Erst musste Moan abreisen lassen, dann Gottwald erkennen, dass der Deutsche sich auch für die letzten 100 m genügend Kräfte aufgespart hatte, um mitzuhalten und sogar kontern zu können. „Ich habe in der Mitte des letzten Berges gesehen, dass nur noch Felix folgen kann. Der Rest ist Geschichte“, beschrieb Georg Hettich später jenen Moment der Entscheidung, der ein großer war – und ihm gleich zwei Korrekturen auf der Homepage eingehandelt hat. Unter dem Stichwort „sportliche Ziele“ steht dort nämlich noch immer: „Irgendwann mal eine Einzelmedaille gewinnen.“