Das ganz andere Geschlecht

KUNST Die Galerie Funke präsentiert mit „OVARTESTISIMILAR“ die erste Einzelausstellung von Ins A Kromminga in Berlin. Dabei geht es in leuchtenden Farben um Sexualität jenseits des binären Systems von Mann und Frau

Die Ausstellung kann mit witzigen Details, leuchtenden Farben und eindringlichen Motiven aufwarten

VON INGA BARTHELS

Ein Mensch mit Kapuzenpulli. Wo eigentlich das Gesicht sein sollte, schlängeln sich monströse braune Auswüchse aus der Kapuze, Hörner könnten es sein, Schnecken oder Haare. Daneben steht mit Bleistift geschrieben: „Dies ist sicherlich ein Ausschlusskriterium“. Die trockene Feststellung angesichts der unansehnlichen Wülste lässt einen lachen, aber Fragen bleiben trotzdem offen: Von was soll dieser Mensch ausgeschlossen werden? Und von wem kommt diese Feststellung?

Die Zeichnung ist Teil der Ausstellung „OVARTESTISIMILAR“ von Ins A Kromminga und zeigt, worum es hier geht. Es geht um Menschen, die anders sind. Und um das Andere im größeren Sinne. Das, was in den Gender Studies „abject“ genannt wird: Es macht einem Angst, dient aber auch dazu, sich zu definieren im Gegensatz zu diesem Anderen, das man nicht ist.

Der_die Künstler_in Ins A Kromminga weiß, was es heißt, anders zu sein. Er_sie ist intersexuell, das heißt, dass sein_ihr Körper nicht eindeutig in die binäre Konstruktion Mann oder Frau eingeordnet werden kann. Intersexuelle Menschen sind seit der Geburt eine Mischung aus Mann und Frau, was die Chromosomen, die Hormonproduktion und die Keimdrüsen betrifft. Die Keimdrüsen sind auch Namensgeber der Ausstellung: Testis und Ovar, die medizinischen Begriffe für Hoden und Eierstöcke, verbunden mit dem englischen „similar“, also gleich.

Seine_ihre Zeichnungen ordnet Ins A Kromminga für jede Ausstellung in anderen Installationen an, verbunden mit einer umfassenden Wandzeichnung. Damit sollen die kleinteiligen, filigranen Bilder mit dem großen Ganzen verbunden werden, das Private mit der Gesellschaft.

Ins A Kromminga war schon Künstler_in, bevor er_sie von seiner_ihrer Intersexualität erfuhr. Aber er_sie ist auch Aktivist_in, engagiert sich unter anderem bei dem Berliner Verein TransInterQueer. Die Kunst dient auch dem Öffentlichmachen von Intersexualität.

Intersexualität hat in den vergangenen Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Dazu beigetragen hat sicherlich Jeffrey Eugenides mit seinem Roman „Middlesex“ aus dem Jahr 2002, in dem es um einen Hermaphroditen geht. Auch der „Tatort“ beschäftigte sich gleich zweimal mit dem Thema. Dass es aber noch immer viel Unwissen gibt, zeigt die teilweise von Verständnislosigkeit geprägte Debatte um die geplanten Unisextoiletten in Kreuzberg Anfang dieses Jahres.

Auch in der Kunst ist das Thema unterrepräsentiert: Neben Ins A Kromminga ist nur der_die intersexuelle amerikanische Künstler_in Del LaGrace Volcano bekannt, mit dem_der Kromminga bereits in der Ausstellung „1-0-1 intersex – das Zwei-Geschlechter System als Menschenrechtsverletzung“ zusammenarbeitete.

Ins A Kromminga arbeitet mit Aquarell, Tusche und Bleistift. Neben abstrakteren Arbeiten wie einer Zeichnung, die an Zellen erinnert und in intensiven Rottönen leuchtet, dominieren Darstellungen von Außenseitern und Monstern. Die Motive kommen aus historischen und naturwissenschaftlichen Quellen, aber auch aus Science-Fiction und Popkultur. Stilistisch erinnern die Arbeiten an Zeichnungen der Surrealisten. Ein wiederkehrendes Motiv ist das von Freaks, die im 19. Jahrhundert auf Jahrmärkten ausgestellt wurden, wie etwa eine Frau, deren Gesicht nur aus Haaren besteht.

Einige der Werke beschäftigen sich auch explizit mit Intersexualität. So zum Beispiel eine Zeichnung namens „Genital Accessoires“. Sie zeigt die gespreizten Beine eines Menschen. Statt des Geschlechtsorgans ist zwischen den Beinen eine Handtasche der Firma „Prader“ zu sehen, in Anspielung auf die berühmte italienische Modemarke. Unter den Beinen ist eine Tabelle gezeichnet, die von 0 bis 6 geht: 0 ist eine Vagina, 6 ein voll ausgebildeter Penis.

Alles was dazwischen ist, ist undefinierbares Gebiet. Die Arbeit bezieht sich auf den Schweizer Kinderarzt Andreas Prader, dem Erfinder der „Prader-Skala“. Diese Skala der sogenannten Praderstufen wird noch in heutiger Zeit als Klassifizierung nicht normgerechter Genitalien verwendet und dient so als Grundlage jener frühkindlichen Verstümmelung, der Aktivisten wie Ins A Kromminga vorbeugen wollen.

Denn noch immer können Kinder nicht als intersexuelle Menschen aufwachsen. Den Eltern wird bei der Geburt oft geraten, das Kind „anpassen“ zu lassen, so dass es einigermaßen in das herkömmliche binäre Geschlechtssystem eingeordnet werden kann. „OVARTESTISIMILAR“ setzt sich künstlerisch mit diesen Problematiken auseinander – eine sehenswerte Ausstellung, die mit witzigen Details, leuchtenden Farben und eindringlichen Motiven aufwarten kann.