Kaiserstadt oder Printentown

AUS AACHEN BERND MÜLLENDER

„Dergleichen kühnes Haus hat die Welt noch nicht gesehen“, jubeln die Aachener Nachrichten, „eine mitreißende Vision für ganz Europa.“ Vergleiche mit dem Centre Pompidou in Paris und dem Guggenheim Museum in Bilbao schweben durch die Stadt am Dreiländereck. „Jetzt darf es kein Halten, Zögern und Zaudern mehr geben.“

Das Bauhaus kennt seit Monaten jeder Einwohner Aachens. Gemeint ist indes weder Dessau noch das Hobbybastlermekka, sondern Arbeitstitel ein wuchtiges Kulturzentrum und Europamuseum. Arbeitstitel: Bauhaus Europa. In der Innenstadt, zwischen historischem Rathaus und Dom am malerischen Katschhof soll das Bauhaus entstehen. Kosten: 31 Millionen Euro, am Ende also wahrscheinlich 40 oder mehr. Weil 2008 im Großraum Aachen die Euregionale stattfindet, die subventionierte Leistungsschau der Dreiländerregion, gibt es Zuschüsse.

Etwa 21 Millionen Euro soll Düsseldorf zahlen. Aber sicher ist das nicht, auch das Land ist klamm. Niemand weiß bis heute, was in dem Monumental untergebracht wird. Doch ein Gründungsdirektor wird schon gesucht. Und der Architekturwettbewerb ist abgeschlossen, obschon die Folgekosten nicht gedeckt sind. Aachen diskutiert, die ganze Stadt ist hin- und hergerissen.

Noch bis heute sind die Architekturentwürfe für das neue Objekt im Krönungssaal des Rathauses zu sehen. Immer wieder wurde die Schau verlängert. Dutzende Architekturbüros hatten kühne Arbeiten eingereicht und dabei auch sprachlich eifrig vorgebaut: Es entstehe, schrieb einer, „ein neuer Ort der Vernetzung und der Gleichzeitigkeit, der Konstruktives, Formales und Ästhetisches im herkömmlichen Sinne nicht benötigt“.

Einstimmig gewonnen hat das oberkühnste aller Projekte: Der Wiener Stararchitekt Wolfgang Tschapeller hat einen spektakulären Glaspalast entworfen mit schiefem Innenraumbereich in Form einer Europa-Landkarte, darin „wellenartig gewölbte Indexflächen“, grundsätzlich „kantenfreier Raum“ und ein „begehbares Mobile“. Die Kommentatoren griffen tief ins Synonym-Lexikon für Extase: „Glücksgriff der Extraklasse, atemberaubend, fulminant, elektrisierend, eine Abenteuervariante“. Aachen werde „mit einem Schlag zu einem Wallfahrtsort der zeitgenössischen Architektur“. Auch im Gästebuch wird gejubelt, einer merkte indes an, wenn er als alter Mann sehe, was da aus seinem schönen Aachen gemacht werde, falle ihm baldiges Abtreten leichter. Eine andere schrieb: „Protz-Projekt für Napoleon Linden“.

Jürgen Linden, SPD, 1,72 Meter groß, ist seit 1989 Oberbürgermeister. Linden ist glühender Verfechter des Bauhauses. Unter seiner Leitung wird am Mittwoch eine Bürgerinformation stattfinden. Eine Wiederholungsveranstaltung, zur Erstausgabe waren 500 Leute gekommen. Einige mussten draußen bleiben, als Linden wortreich kämpfte. Denn Linden glaubt, seine Stadt sei wegen Kaiser Karl, Dom und der geografischen Lage „in den Augen der Europäer die europäische Stadt.“ Mehr noch, Aachen sei „Labor und Modell für die Zukunft Europas.“ Mit dem Bauhaus könne man „einen geldwerten Zustrom generieren“ bei geschätzten „200-300.000 Städtetouristen mehr“. Es gehe um Imagegewinn und um den weichen Standortfaktor. Der Leiter der Wettbewerbsjury versprach den BürgerInnen sogar ein für Europa einmaliges „museales Erlebnis“ – „in 50 Jahren ist dieses Museum Weltkulturerbe“.

Trotzdem standen beim ersten Bürgerabend viele Bürger auf. Wütend waren ihre Reden, vielfältig ihre Argumente: Für ein solches Prestigeprojekt soll Geld da sein und woanders wird totgekürzt; Schulen, Kindergärten, Arbeitsplätze, Straßenbau. Klingt zwar logisch, aber Euregionale-Zuschüsse haben mit Arbeitsmarkt und städtischem Haushaltsdesaster wenig zu tun. Alle Vorgaben seien viel zu groß, maulte einer, welche Monströsität, „Dom und Rathaus gehen unter“. Nichts sei vorgesehen über das soziale Europa. Überhaupt: Inhalte. Inhalte? Europa-Geschichte, EU-Selbstdarstellung, Europa-Erlebnispark – was konkret solle rein „in diese innere Vorgebirgslandschaft“?

Und, so die Gegenreden, hat die Stadt nicht schon genug Fehler gemacht, bei denen man ähnlich begeisterte Prognosen hörte? Das Kaiserbad – eine traurige Halbruine. Der grenzüberschreitende Gewerbepark Avantis – auch nach zehn Jahren noch eine grenzüberschreitende Brache. Oder das riesige Ludwig Forum – vielleicht das einzige Museum dieser Größe weltweit, das schon Tage ohne einen zahlenden Besucher erlebt hat.

Als ob Europa nicht andere Probleme hätte, schimpft ein anderer, gerade im Dreiländeralltag. „Das Bauhaus als europäische Denkfabrik“ sei lächerlich bei einer Hochschule, die Geisteswissenschaften als Mauerblümchen behandelt: „Da ist Aachen der falsche Ort.“ Und immer dieser Aachener Karlskult, der Kaiser als Supereuropäer: „Bald werden wir auch noch den Neandertaler einen großen Europäer nennen, nur weil er in der Gegend gewohnt hat.“ OB Linden wolle sich nur sein eigenes Denkmal setzen. Linden konterte schlagfertig: „Alle großen Bauten in Aachen sind entstanden, während es Bürgermeister gab. Seit 1251.“ Großes Gelächter und ein Zwischenruf im barocken Prachtsaal des Alten Kurhauses: „Wie kann in einem so schönen Raum nur so viel Kleinmut sein?“

Spannend ist auch die Rolle der Zeitungen in dieser intensiven Leitbilddebatte. Die Aachener Nachrichten sind vornehmlich zum Sprachrohr der Jasager geworden. Die zum gleichen Verlag gehörende Aachener Zeitung hält sich zurück und forderte zur Meinungsbildung auf. Die Folge: Seitenweise Lesertexte, flammend in beide Richtungen. „Toll, umwerfend. So was kriegt Aachen nie wieder.“ Die klare Mehrheit der Schreiber ist dagegen. Ein Argument: „Dieser Architekt aus Wien war nie vorher in Aachen!“ Ein anderes: „Mir ist eine sozial und kulturell funktionierende Kleinstadt lieber, als eine unsoziale und handlungsunfähige Weltmetropole mit Leuchtturmbauten.“

Die Befürworter bejubeln die in Aussicht gestellten Landesmittel, als wären das keine Steuergelder. Und kaum einem fiel auf, dass gerade der Katschhof besonders wenig Sinn macht als neuer Touristenmagnet. Denn zu Dom und Rathaus kommen Besucher ohnehin. Kein Entwicklungsimpuls, sagen Stadtplaner dazu. Woanders wäre das Bauhaus zumindest für die Einheimischen sinnvoller: Auch das schnuckelige Aachen kennt zahllose hässliche Ecken und nie korrigierte Nachkriegssünden.

Über drei Stunden dauerte die erste Bürgerinformation. Stratege Jürgen Linden verstand sich meisterhaft im Diskussions-Sport: Ähnlich wie beim Improvisationstheater wirft man dem Stadtchef ein Stichwort zu oder formuliert eine beifallumrauschte Brandrede. Linden hält daraufhin, rhetorisch brillant, ein flammendes Plädoyer für seine Sicht, garniert mit klugen Anekdoten und einem Schuss Öcher Platt fürs Gemüt.

In allen wichtigen Posten ist Aachen mit Lindenologen durchsetzt. Gegen das integrative Phänomen Linden geht nichts. Sein Gedächtnis macht noch jeden Elefanten neidisch. Mutmaßlich wäre selbst Kaiser Karl ohne gute Kontakte zu diesem OB in seinem Aquis Granum ein mickriger Provinzfürst geblieben.

Am Ende sind alle Rahmenbedingen genannt. Sie heißen: Linden. Und Linden hat durchaus gute Argumente für das Bauhaus als „einen Ort europäischer Identität“. Auffallend: Auf dem Podium der ersten Bürgerinformation saßen nur Befürworter. Auch der Moderator, Lokalchef der Aachener Nachrichten, ist glühender Bauhaus-Fan. Offenbar ist die in Aachen gebetsmühlenhaft gefeierte offene Diskussionskultur um das Bauhaus-Projekt doch nicht so pluralistisch wie sie vorgibt. Und weil der gelernte Charmeur Linden in der Öffentlichkeit schwer angreifbar ist, hatte die örtliche CDU, die das Bauhaus Europa (noch) ablehnt, ohnehin niemanden in den Ring geschickt. Ein klarer Fall von Feigheit vor dem Feind.

Denn im Spätherbst war Aachens Rats-CDU aus der allgemeinen Begeisterung ausgeschert, wegen der Folgekosten und fehlender Konzeption, alles sei „unverantwortlich“. Nun deutet manches darauf hin, dass sie sich wieder ohne Gesichtsverlust einzugliedern versuchen. Endgültig soll der Rat der Stadt im Frühjahr entscheiden.

Bis dahin trommelt hier ein neuer „Förderverein Bauhaus“ mit dem Ziel: „den Bauhaus-Gedanken stärker in der Bevölkerung verankern“. Und dort wird ein ablehnender Bürgerentscheid in Stellung gebracht. Ob Europas Herz seinen monumentalen Bypass bekommt, ist also noch unsicher.

Doch auch bei einem Nein hat es sich gelohnt, meint jedenfalls die Aachener Zeitung: „Eine Diskussion, die ihren Wert schon in sich hat, ist allerbeste Werbung und Marketing für eine Stadt, die diese Debatte zulässt. Denn nichts wäre schlimmer, als weder ernst- noch wahrgenommen zu werden.“ Da bleibt die Frage: Ist das schiere Selbstbesoffenheit oder tief sitzender Minderwertigkeitskomplex?