„Am Tanz kommt man nicht vorbei“

FESTIVAL Heute beginnt das von Matthias von Hartz kuratierte „Foreign Affairs“-Festival – eine Suche nach interessanten Bühnensprachen

■ 43, studierte Ökonomie in London und Regie in Hamburg. Er kuratierte politisch-künstlerische Reihen, unter anderem bei der Ruhrtriennale. Für das Schauspielhaus Hamburg entwickelte er das Format „go create resistance“ mit interdisziplinären Projekten zu Fragen der Globalisierung. Von 2008 bis 2012 leitete er in Hamburg das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel. Programm des „Foreign Affairs“-Festivals vom 27. Juni bis 14. Juli: www.berlinerfestspiele.de.

INTERVIEW ANNETTE JAENSCH

taz: Herr von Hartz, „Foreign Affairs“ startet mit zwei Premieren in eigener Sache: Es ist ein Sommerfestival und wird erstmals von Ihnen kuratiert. Wie haben Sie die Neugestaltung angepackt?

Matthias von Hartz: Eine Neugestaltung hat bereits im letzten Jahr begonnen. Die „Spielzeit Europa“ wurde zu einem Festival komprimiert und hat eine andere ästhetische Richtung eingeschlagen. Neu ist jetzt die Entscheidung, in Schwerpunkten zu arbeiten. Wir wollten weg von dem üblichen Ansatz, von jedem internationalen Star eine neue Produktion durchzujagen, wie es auf vielen Festivals gemacht wird, hin zu einer genaueren Betrachtung von einzelnen Ästhetiken, Künstlern und Themen.

Tanz, Theater, Musik, Bildende Kunst und Diskurs. Das Programm setzt voll auf das Interdisziplinäre. Welche Synergien erhoffen Sie sich?

Es geht um die Frage, was wir heute eigentlich auf der Bühne machen. Wir haben es, pathetisch formuliert, mit einem sterbenden Medium zu tun. Zumindest, was die Zuschauer angeht. Das Festival heißt ganz bewusst „Festival für Theater und performative Künste“, weil wir schauen, aus welchen anderen Genres Impulse kommen. Performative Arbeiten finden sich in der Musik wie in der Bildenden Kunst. Gerade da hat es in den letzten Jahren einen extremen Schub gegeben.

Streuung und Konzentration als Programmprinzip. Wie passt das zusammen?

Das sind auf den ersten Blick gegenläufige Bewegungen, aber sie beschreiben eben auch die Suche nach dem relevanten Theater von heute. Insofern bildet das Interdisziplinäre den Stand des internationalen Theaterschaffens ab. Die Leute, die das Medium überschreiten, sind mit Sicherheit die interessantesten.

Der Choreograf William Forsythe ist mit fünf Arbeiten vertreten, Boris Charmatz und Anne Teresa de Keersmaeker zeigen ihre erste gemeinsame Produktion. Entsteht bei so viel Tanz nicht Konkurrenz zu „Tanz im August“?

Wenn es um die Suche nach interessanten Bühnensprachen geht, kommt man natürlich am Tanz nicht vorbei. Im Falle von Forsythe haben wir neben Installationen zwei sehr theatrale Arbeiten eingeladen. In „I don’t believe in outer space“ wird fast so viel geredet wie getanzt, „Sider“ ist die Umsetzung eines Shakespeare-Dramas. Bei de Keersmaeker und Charmatz wiederum wird sehr klar der Versuch erkennbar, die Musik von Bach umzusetzen. Der Kern der Arbeit ist das Violinstück Partita 2.

Das Nature Theater of Oklahoma wird für zwei Wochen das HAU bespielen. Markenzeichen der New Yorker Company ist die Lust an der Banalität des Alltäglichen. Was macht diesen Ansatz so reizvoll?

Einerseits arbeiten sie auf der Basis von Telefongesprächen, zum anderen ist da dieser extreme theatrale Formwille. Mal ist es amerikanisches Fernseh-Overacting, mal Tanz, dann wieder Murder-Mystery oder Radio-Show. Dass wir dem Nature Theater so viel Raum gegeben haben, hat damit zu tun, dass sie sich in den letzten fünf Jahren zu einer der Gruppen mit der unverwechselbarsten Handschrift weltweit entwickelt haben.

Wer die volle Packung mitnehmen will: Auf welche Spieldauer kommt der Stückemarathon bei „Foreign Affairs“?

Was die Stücke angeht, sind es rund 17 Stunden. Hinzu kommen noch das Barbecue zu Festivalbeginn und ein Filmprojekt, das zusammen mit Berlinern entstehen soll. Das ist in der Summe ein wirklich riesiges Projekt, das auf gemeinsame Einladung der Berliner Festspiele und des HAU zustande gekommen ist.

„Unterschätzte Phänomene der Gegenwart“ ist eine neue Reihe, die den politischen Diskurs ins Spiel bringt. Wie kamen Sie auf das Thema Wette?

Das Tolle an dem Thema ist, dass es eine realpolitische Brisanz hat, aber auch kulturgeschichtlich interessant ist. Merkwürdigerweise hat das Vertrauen in das Spekulative zuletzt zugenommen, obwohl es eigentlich seit Beginn der Finanzkrise 2008 extrem erschüttert sein müsste.

Mit dem Schwerpunkt Wette bewegt sich das Festival hinaus in die Stadt.

Das Ganze ist ein Projekt mit den KW Institute for Contemporary Art, dort findet eine Ausstellung statt, und wir veranstalten gemeinsam ein Performance-Wochenende mit Vorträgen und Kunst in den KW und den Festspielen. Außerdem wird es einen Unwahrscheinlichkeitsdrive geben. Vereinfacht gesagt wartet da eine Stretchlimousine auf eine postkapitalistische Nachnutzung. Der beste Vorschlag wird am Ende realisiert.

Frie Leysen, die künstlerische Leiterin von „Foreign Affairs“ 2012, wünschte sich einen „Clash der Visionen“. Haben Sie auch ein Motto?

Nicht wirklich, ich glaube da nicht so dran. Ich wünsche mir Kunst, die ästhetisch und gesellschaftlich relevant ist. Als Regisseur habe ich deshalb immer darum gerungen, neue Ausdrucksformen zu finden. Das interessiert mich auch bei anderen.