DIE LETZTBESTEIGUNG DES PODIUMS
: Schluss mit lustig

wundert sich über überbordenden Patriotismus

MARKUS VÖLKER

Dass die Kanadier etwas eigentümlich auf Eishockeyfinals reagieren, das weiß man seit den Stanley-Cup-Riots im Jahre 1994, als die Vancouver Canucks im entscheidenden Spiel gegen die New York Rangers verloren hatten und ein aufgebrachter Mob in Vancouver Downtown stundenlang randalierte. Jetzt haben die Kanadier ein wichtiges Endspiel gewonnen und der Mob war wieder unterwegs – nur diesmal siegestrunken. „Fuck USA“ brüllten Hunderte am Robson Square oder „USA Boo“. Die Stimmung war gar nicht mehr so entspannt und laid-back, wie es zuletzt noch der Fall war.

In den U-Bahnen, ob Skytrain oder Canada Line, brach die Hölle los. Die kanadische Nationalhymne wurde nicht gesungen, sie wurde bis zur Heiserkeit gebrüllt. Immer wieder, immer lauter, immer inbrünstiger. „I’m proud to be Canadian“, wurde gerufen, gefolgt von „Canada rules“. Der Nationalismus feierte am letzten Tag der Winterspiele fröhliche Urständ und US-Amerikaner taten gut daran, sich nicht erkennen zu geben als die südlichen Nachbarn der Olympiaausrichter.

Es war ein patriotischer Sturm, der nach dem 3:2-Sieg im Eishockeyfinale losbrach. Was bis zum Tag 16 der Spiele noch als eine nette Schrulle der Vancouverites und der medaillengeilen Medien durchgehen konnte, das wurde am Tag 17 zu einer ziemlich penetranten Begleiterscheinung: „Go Canada go“, so lautete der nervtötende Abgesang auf diese Spiele.

Vancouver hatte sich ja durchaus bemüht, nicht der schlechteste Gastgeber in der olympischen Geschichte zu sein, und IOC-Chef Jacques Rogge hatte ihnen bei der Abschlussfeier attestiert, „exzellente Spiele“ ausgerichtet zu haben, doch am letzten Tag vermasselten sie sich im Grunde alles, der gute Gesamteindruck war dahin, weil nur noch dies wichtig war: Kanada, 14 Goldene, der Hockeysieg, und noch einmal Kanada.

Da konnten die Volunteers noch so sehr „You’re welcome!“ flöten, nach zwei Wochen vergaßen sich die Kanadier, zumindest jene in Vancouver. Vorbei war’s mit dem angeblichen kanadischen Understatement und der Generosität, es kochte nichts anderes hoch als jener hypertrophe Patriotismus, der schon während der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland ein Ärgernis war. Man fragt sich, ob es die Flut der kanadischen Goldmedaillen in den vergangenen Tagen war oder doch der finale Sieg über die USA, jedenfalls zeigten die Gastgeber bei der Letztbesteigung des Podiums kein freundliches und sympathisches Gesicht mehr.

Die Flamme war erloschen und prompt hatten sie vergessen, was einen guten Gastgeber ausmacht. Es wurde nur noch „Crosby“ und „Luo“, Spitzname von Goalie Luongo, geblökt, die olympischen Gäste konnten ihnen gestohlen bleiben. Im Jahre 2010 hatte Vancouver sein trunkenes rot-weißes „Olympic Riot“. Nicht auszudenken, wenn Kanada verloren hätte.