Karadžić mimt den Unschuldigen

PROZESS Der wegen Kriegsverbrechen vor dem Haager UN-Tribunal angeklagte frühere bosnische Serbenführer weist alle Vorwürfe zurück. Serben hätten sich nur verteidigt

Karadžić : Muslimführer Izetbegović wollte 100 Prozent der Macht und 100 Prozent des Territoriums

VON ERICH RATHFELDER

SARAJEVO taz | Die Serben seien Opfer der Geschichte und hätten den Krieg 1992–95 in Bosnien nur geführt, um sich zu schützen. Der im Juli vergangenen Jahres in Belgrad verhaftete frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadžić nahm nach einer monatelangen Prozessunterbrechung gestern persönlich zur umfangreichen Anklageschrift des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien Stellung. Ihm wird vorgeworfen, für zahlreiche Kriegsverbrechen im bosnischen Krieg – so auch den Mord an 8.000 Muslimen in Srebrenica 1995 – verantwortlich zu sein.

„Es gab nie die Absicht, die Idee oder noch weniger einen Plan, die Muslime und Kroaten aus Bosnien und Herzegowina zu vertreiben“, erklärte der 64-jährige Karadžić zu dem Anklagepunkt, für die sogenannten ethnischen Säuberungen, also der Vertreibung von über 2 Millionen und dem Tod von mehr als 100.000 Menschen in Bosnien und Herzegowina 1992–95 verantwortlich zu sein. Im Gegenteil habe er alles versucht, um die Führer der kroatischen und muslimischen Nationalparteien von der Unabhängigkeitserklärung am 6. April 1992 abzuhalten. So habe er den Cutilheiro-Plan der EU vom Februar 1992 unterstützt, der Bosnien in ethnisch definierte Kantone aufgeteilt hätte. Der bosnische Muslimführer Alija Izetbegović aber hätte seine Unterschrift unter den Plan zurückgezogen, nachdem die Amerikaner ihm versprochen hatten, die Unabhängigkeit Bosniens zu unterstützen.

Vor dem UN-Tribunal beschuldigte Karadžić vor allem Deutschland und den Vatikan, Jugoslawien zerstört zu haben. Diese Mächte hätten die Sezession Sloweniens und Kroatiens unterstützt und damit das Ziel erreicht, das im Zweiten Weltkrieg nicht erreicht worden war. Zudem hätte die Türkei damals versucht, das Osmanische Reich auf dem Balkan erneut zu etablieren. Die Serben hätten sich im kroatischen und bosnischen Krieg nur gewehrt und hätten Europa gegen den islamischen Fundamentalismus verteidigt, war die Quintessenz seiner über vierstündigen Ausführungen. Zur Bekräftigung seines Friedenswillens vor dem Krieg in Bosnien 1992 ließ er seine Rede im Gerichtssaal abspielen: In ihr warnte er die muslimische Bevölkerungsgruppe vor den Konsequenzen der Unabhängigkeit. Die Muslime Bosniens würden am meisten unter dem Krieg zu leiden haben, hatte er erklärt.

Im Gegensatz zu den Serben hätte die Führung der bosnischen Muslime unter Alija Izetbegović die Vorherrschaft in Bosnien und Herzegowina angestrebt. „Izetbegović wollte 100 Prozent der Macht und 100 Prozent des Territoriums“, erklärte Karadžić. Izetbegović sei ein islamischer Fundamentalist gewesen, der eine islamische Republik nach dem Vorbild Irans hätte errichten wollen. Er, Radovan Karadžić, habe vor dem Krieg einen Kompromiss und friedlichen Ausgleich angestrebt. Die Serben aber hätten klargemacht, dass sie keineswegs in einem islamischen Staat leben wollten.

Zu den Vorwürfen, nach Beginn des Krieges Konzentrationslager in Bosnien errichtet zu haben, erklärte Karadžić, das Lager Trnopolje in Westbosnien sei lediglich ein Schutzlager gewesen, in das muslimische Zivilisten geflohen seien. Wie perfide die muslimische Propaganda sei, um die Weltmeinung gegen die Serben zu beeinflussen und eine militärische Intervention der Nato zu erzwingen, könne man am Beispiel der Granate auf die Markala (Marktplatz in Sarajevo) 1994 sehen. „Die Granate ist von den Muslimen selbst abgeschossen worden, die Toten sind von anderswoher zur Markala gebracht worden“, erklärte der frühere Serbenführer. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

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