Verteidigungslinie für die Natur

AUS HELLENTHAL HENK RAIJER

Spuren im Schnee, am Steilhang natürliche, in der Senke historische. Erstere führen ins Gestrüpp, letztere in die Geschichte. Flankiert von Rotbuchhecken auf der einen, einem Heer bemooster Betonhöcker auf der anderen Seite, verbirgt sich hier unter der Schneedecke ein Winterdomizil für Marder, Wildkatzen und Füchse. Auch Frösche und Fledermäuse nutzen die Risse im Beton, auf dessen Decke sich seit der Sprengung vor 60 Jahren ein Ahorn in majestätischer Breite zum Himmel streckt.

Was im Eifeldorf Udenbreth für Tiere über die Jahrzehnte zu einem unersetzlichen Überwinterungsquartier geworden ist, war mal ein „Westwall“-Bunker. 1938 gebaut für die Ewigkeit, drohte ihm bis vor kurzem wegen Sicherheitsgefährdung die Abrissbirne. Wie den meisten verbliebenen Bunkern in NRW. Um zu verhindern, dass seltene Tiere nach der großen Flurbereinigung der Sechzigerjahre ein weiteres Mal ihren Lebensraum verlieren, hat sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) entschlossen, den Bunker im 450 Einwohner zählenden Dorf im Kreis Euskirchen zu kaufen. Die Unterzeichnung der Verträge mit dem Bundesfinanzministerium als Eigner der Anlage und mit der Eigentümerin der Wiese, auf der der Bunker steht, ist laut BUND nur noch eine Formsache.

Die Übereignung ist Teil der Initiative „Grüner Wall im Westen“, mit der der BUND Bunker und Panzersperren im NRW-Teil der zwischen 1936 und 1940 errichteten Verteidigungslinie der Nazis als Öko-Nischen gegen den Abriss schützen will. „Auf diese Weise können wir seltene Tiere wie etwa die Wildkatze oder das Große Mausohr vor dem Aussterben retten“, erklärt Projektleiter Sebastian Schöne, während er das 1.000-Quadratmeter-Grundstück am Hang oberhalb der Panzersperren taxiert, die sich hier in 600 Meter Höhe trapezförmig durch die winterliche Eifellandschaft schlängeln. „Bunker sind inzwischen zu Sekundarbiotopen geworden“, sagt der 37-jährige Landschaftsplaner in Diensten des BUND. „Dort wo intensiv genutzte Kulturlandschaften die natürlichen verdrängt haben, haben die Tiere Lebensräume in Besitz genommen, die sie woanders durch Besiedelung oder Landwirtschaft verloren hatten.“

Das Grundstück kostet den BUND einige hundert Euro, die er der Eigentümerin der schmalen Parzelle entlang der „Höckerlinie“ in Udenbreth zu zahlen hat. Für die Übernahme des Bunkers indes erhält der Verband 70 Prozent jener Kosten, die ein Abriss verursachen würde. Einzige Auflage seitens der Bundesanstalt für Immobilien Aufgaben (BImA), der Nachfolgebehörde des Bundesvermögensamtes: Für die rund 5.000 Euro müssen die Naturschützer den Bunker auf Dauer so absichern, dass sich niemand darin verletzen kann.

Seit den Siebzigerjahren hat die Furcht vor möglichen Schadensersatzklagen das Bundesfinanzministerium als übergeordnete Instanz angetrieben, den Abriss der rund 17.500 Westwall-Bunker an der ehemaligen Reichsgrenze zwischen Kleve und Basel zu forcieren. In NRW – auf dessen Territorium nach Kriegsende 3.500 solcher Betonungeheuer standen – werden pro Jahr 40 bis 50 Bunkeranlagen zertrümmert, damit Menschen darin nicht zu Schaden kommen. Nun wurde im Rahmen des vor einem Jahr gestarteten Projekts „Grüner Wall im Westen“ für NRW ein genereller Abriss-Stopp bis 2007 vereinbart.

Hat mit diesem zweijährigen Moratorium und der Übertragung an den BUND das Ministerium einen Paradigmenwechsel vollzogen? „Nein, ein Umdenken der Bundesregierung hat hier nicht stattgefunden“, sagt Torsten Albig, Sprecher des Bundesfinanzministers. „Der Bund führt an den Anlagen Gefahrenbeseitigungsmaßnahmen durch, zu denen er laut Kriegsfolgengesetz verpflichtet ist. Ein Abbruch kommt dabei nur in Frage, wenn dies die einzige und kostengünstigste Lösung darstellt. Alternativ war und ist der Bund grundsätzlich stets bereit, die Bunker kostenlos zu übereignen und dem Bewerber Geldmittel zur Gefahrenbeseitigung zur Verfügung zu stellen“, so Albig in bestem Amtsdeutsch. „Es sind auch schon Bunker an Kommunen übereignet worden. Das Interesse ist bis heute aber eher gering.“

Sebastian Schöne soll‘s Recht sein. „Zumindest haben wir was bewegt, Udenbreth ist unser erster Bunker“, sagt der BUND-Projektleiter, der hofft, dass andere Verbände und auch Kommunen dem Beispiel folgen werden, um die Rückzugsgebiete für die bedrohten Tierarten zu erhalten.

Von den bundesweit 8.700 noch vorhandenen Bunkern befinden sich gut 2.000 in Nordrhein-Westfalen. Allein in der Gemeinde Hellenthal, zu der Udenbreth gehört, stehen noch zwei Dutzend: manche, gut erhaltene, versteckt im Wald, andere, nahezu zerfallen, gut sichtbar auf der Wiese. Bedenken, die Bunker könnten neben bedrohten Tierarten auch kulturinteressierte Touristen oder gar fragwürdige Militaria-Fans anziehen, hat Schöne schon ein wenig. „Wenn sich Wanderer das genauer angucken wollen, kriegen wir Probleme“, sagt der BUND-Mann, der sich auf dem hart gefrorenen Feldweg in Bunkernähe durch Hüpfen die Füße zu wärmen versucht. „Aber wie hier in Udenbreth sind auch andere Bunker bereits durch Drahtgitter so gesichert, dass höchstens Amphibien durchkommen.“ Mit der Diskrepanz zwischen Denkmalinteresse und Naturschutz müsse man leben, sagt Schöne mit einem Achselzucken. „Das müssen wir Bunker für Bunker lösen.“

Martin Frauenkron ist da skeptisch. Der Hauptschullehrer aus dem benachbarten Giescheid, der als Jugendlicher in den Sommerferien jeden Quadratzentimeter des nun zum Verkauf frei gegebenen Bunkers auf dem Grundstück seiner Tante erkundet hat, hält jedwede Art von öffentlichem Schutz für kontraproduktiv. Er selbst habe damals immer freien Zugang zu „seinem“ Bunker gehabt und mit einer Taschenlampe regelmäßig die Fledermäuse aufgeschreckt, erzählt Frauenkron und lacht verwegen. „Wenn schon Naturschutz, sollten die Bunker möglichst ganz ungestört bleiben.“

Dennoch freut sich der 56-Jährige über die Initiative des BUND. Auch er hat noch einen halbwegs intakten Bunker in seinem Wald, zwei weitere bei Kamberg hat eine Baufirma vor gut acht Jahren in Auftrag des Bundesvermögensamtes „platt gemacht“. Als vor kurzem der Dritte „zur Demolierung freigegeben“ werden sollte, habe er sich gewehrt, so Frauenkron. „Aus Gründen der Sicherheit für Leib und Leben muss man keinen dieser Bunker mehr abreißen. Das geht viel billiger, indem man das Gelände vernünftig absperrt und dann den Tieren überlässt.“ Er habe vielmehr den Verdacht, so Frauenkron, dass die Zerstörungswut der Behörden Ausdruck ihres Verhältnisses zur NS-Zeit sei. „Ich wünsche mir, dass man in diesem Lande lernt, besser mit den unliebsamen Zeugnissen der Vergangenheit umzugehen.“

Für den BUND sind die Bunker ebenfalls ein brisantes Thema. An zweifelhaften Kameraden auf Bunkerbesichtigungstour habe man wahrlich kein Interesse, sagt Sebastian Schöne. Das würde den Naturschutz in ein falsches Licht stellen. „Aber dieses Minenfeld könnten wir umschiffen, indem wir unser Konzept in einer Ausstellung gleich hier in der Nähe auf Burg Vogelsang präsentieren“, so Schöne. Über die künftige Nutzung der früheren Nazi-Kaderschmiede werde ja noch diskutiert.

Wenige Kilometer von Udenbreth entfernt, in einem Waldstück im Weiler Metzigeroder, kennt Schöne einen weiteren Bunker. Ein eisiger Wind fegt dort über den Höhenzug. Auf dem leicht abschüssigen Acker führt eine Trasse zwischen zwei Hochsitzen hindurch in einen Buchenwald. Der birgt, von Stämmen umzingelt, einen weiteren Haufen Geschichte. Aber einen, so Schöne, mit „maximalem Naturschutzpotenzial“. Das erzählen auch hier Spuren im Schnee.