die sadomaso-kundenkarte von JOACHIM FRISCH
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„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Der Mittfünfziger in der beigen Felljacke zieht einen kleinen gelben Karton aus seiner Geldbörse und reicht ihn wortlos der freundlichen Dame. Sie hebt die Stimme: „O, die goldene.“ Die Umstehenden wenden die Köpfe, um den Herrn von gehobenem Stande zu bewundern, einige treten zur Seite, als merkten sie just, dass sie nicht den gebührenden Abstand gehalten haben.

Diese Szene spielt nicht im KaDeWe, nicht bei der Deutschen Bank, auch nicht beim Porschehändler, sondern Samstag früh auf dem Wochenmarkt einer piefigen Hamburger Vorstadt, beim alteingesessenen Schinken- und Käsehändler. Eine schöne Blüte der Dienstleistungsoffensive, denke ich, der Standesdünkel kehrt zurück, erst mal in die Welt des Konsums, dann in die Politik. Heute zu Schinken-Peter, morgen in die Parlamente. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist die Summe seiner Kredit- und Kundenkarten (KK), wer keine hat, ist Lumpenprolet.

Ich beschließe, dem beigen Herrn unauffällig zu folgen, um ein paar soziologische Einblicke in das Leben des privilegierten Standes unserer Zeit zu gewinnen, und mache mir Notizen: „Rinderschlund und Kuheuter am Hundefutterstand. Keine KK. Bald schwere Zeiten für störrischen Hundefuttermann, Kundenbetreuungssystem hoffnungslos veraltet. Privileg-KK im Supermarkt, zwei Gläser Gewürzgurken Treuebonus. Bäcker: große Knusper-KK, zwei Rosinenbrötchen zum Dinkelschrotbrot. Toto-Lotto: Galaxis-Glücks-KK, bei Ziehung der Geburtsdaten zehn Prozent Einsatz zurück. Drogeriemarkt: Treue-KK in blau mit Superbonus, Zahnbürstenhalter zum halben Preis. Baumarkt: Obi-Gold-Megaplus-KK. Jeder vierte Sack Mörtel kostet nix. Wozu vier Säcke Mörtel? Mauer gegen das Lumpenproletariat der Kartenlosen? Mauer gegen das Vergessen? Das Vergessen der KK-Pin-Nummern? Anbau an Doppelhaushälfte als Kundenkartenlager? Angebot für Gratismörtel unwiderstehlich? Tanke: Aral-Super-Turbo-KK, Unterbodenwäsche je 5000 L Super plus. Abendessen (Gewürzgurken, Rosinenbrötchen, Dinkelschrotbrot, Fleisch) mit Frau ohne KK. Mann erzählt von Billigprodukte dank der KKn, Frau lobt Geschäftssinn und erzählt von KK-Bonus bei Friseur, Wellness-Beauty-Beach-Club, Sonnen-, Enthaarungs- und Nagelstudio. Mann erklärt, alter Freund erwarte ihn auf ein Bier unter Männern. Abend: Cocktailbar ohne Frau. Bei Vorzeigen der Trend-Style-KK Caipirinha vom Chef persönlich geschüttelt. Taxi zum Kiez. Nehme auch Taxi, klassisch: Folgen Sie diesem Wagen! Domina-Studio. Verstecke mich hinter Gardine. Unser Mann zeigt S-M-KK-deluxe. Weil 40. Besuch, vier P-Hiebe grat …“

Ein breitschultriger Herr im Maßanzug packt mich von hinten an der Schulter: „15 Minuten spannen: 100 EUR.“ Ich halte den Preis nicht für angemessen, doch weil ich mir weder von einer Preisdiskussion noch von einer Auseinandersetzung über die soziologische Relevanz meiner Motive viel verspreche, ziehe ich zitternd meine Geldbörse. Der Herr senkt die Stimme und klingt plötzlich freundlicher: „Mit der S-M-deluxe können sie noch fünf Hiebe bleiben.“ – „Danke, für heute genügt’s“, antworte ich und mache mich auf den Weg zurück in die Vergangenheit.