DAUMENKINO: „The Grandmaster“
Wong Kar-Wai gilt als Perfektionist, der an seinen Filmen jahrelang herumschraubt, bis auch wirklich jedes Detail stimmt. „The Grandmaster“, sein zweiter Martial-Arts-Film und seine Rückkehr zum chinesischen Kino nach dem Amerikaausflug „My Blueberry Nights“, wurde besonders ausführlich aufpoliert, Jahr für Jahr angekündigt, Jahr für Jahr verschoben.
Bei der Berlinale 2013 war es endlich so weit; als man dann im Kino saß, musste man sich allerdings fragen, ob sich Wongs Arbeitswut inzwischen nicht in eher fragwürdigen Bahnen bewegt: Sein Film über „Yip Man“, einen Kampfkunstlehrer, der in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zunächst in Südchina, dann in Hongkong zu einer Berühmtheit wurde (und unter anderem den späteren Weltstar Bruce Lee unterrichtete), sieht zwar immer wieder großartig aus, zerfällt aber tendenziell in ein Schaulaufen disparater Attraktionen: zum einen in das Nebeneinander einzelner herausgehobener Szenen wie den regennassen Anfangskampf oder einen späteren, hochkinetischen Bahnhofsfight. Zum anderen und mehr noch in ein Nebeneinander fetischisierter Einzelbilder, die einerseits zum bittersüßen Stillstand auch da tendieren, wo sie eigentlich von rasanter Bewegung erzählen; und die sich andererseits schon während des Ansehens gegenseitig auszulöschen drohen, weil sie sich nur aufeinander beziehen, einander zu überbieten suchen, kaum noch ein Weltverhältnis ausdrücken.
So weiß man am Ende auch nicht recht, was für ein Verhältnis der Film entwirft zu jener großen Geschichte, in der die kleine des Kampfkunstlehrers unweigerlich eingebettet ist. Zumindest der Tendenz zum imperialen Herumposaunen, die in einigen jüngeren chinesischen Blockbustern nicht zu übersehen ist, entzieht sich Wong durch Flucht ins Private: Die bittersüße Liebesgeschichte zwischen Tony Leungs „Yip Man“ und Zhang Ziyis „Gong Er“ ist dem Film allemal wichtiger als nationalistische Mobilisation gegen die japanische Aggression im Zweiten Weltkrieg. Nur in einigen wenigen Passagen, die sich ganz auf diese Romanze konzentrieren, findet Wong zu jenem hochemotionalen Stil zurück, der ihn einst berühmt machte: Da geht es dann plötzlich wieder um Gefühle, die die Macht haben, den Zeitlauf zu suspendieren, um Sehnsuchtsblicke, die schon im Moment der sinnlichen Ekstase die Lust in ihr eigenes Erinnerungsbild übergehen lassen.
LUKAS FOERSTER
■ „The Grandmaster“. Regie: Wong Kar-Wai. Mit Tony Leung, Zhang Ziyi u. a. Hongkong/China 2012, 123 Min.
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