Ich wünscht’, ich wär ein Kapitän

REGIONAL-BEKLEIDUNG Was trägt man im Norden, in Sichtweite der Küste? Daunenjacke oder Kapitäns-Blazer? Touristen und Einheimische sehen das unterschiedlich. Und dann gibt es noch das Mysterium der gewürfelten Hosen

Wenn man an die Küste reist und sich da ein paar schöne Tage machen will: Was zieht man da eigentlich an? Das kleine Schwarze? Nein, da verkühlt man sich. Den Parka mit Gummistiefeln? Nein, man buddelt ja nicht am Strand. Sondern man hat eine Städtereise nach Hamburg, Kiel oder Oslo gebucht und will da angemessen auftreten. Will nicht allzu derb auffallen, etwa durch Knickerbocker-Look – obwohl es natürlich auch spätpubertäre Ewig-Provokateure gibt.

Aber das sind wenige. Die meisten Touristen passen sich an. Versuchen sich zu assimilieren mit „dem Nordischen“, oder dem, was man andernorts dafür hält. Dann greifen diese Menschen erstaunlicherweise gar nicht zum Blauweiß-Klischee. Nein, der Tourist – und besonders die Touristin – greift in 90 Prozent der Fälle zur ärmellosen Daunen- oder Steppjacke, die ja an sich schon ein Phänomen ist: Einerseits hat sie mollige Daunen. Andererseits ist sie ärmellos, und das konterkariert den Heiz-Effekt. Aber diese Menschen glauben, dass diese Kleidung „irgendwie praktisch“ und daher für die Reise in den kühlen Norden mehr als geeignet sei.

Dass kein Mensch im Norden sowas trägt, könnten die Touristen zwar durch Empirie feststellen, aber das tun sie nicht. Letztlich haben sie also genau das erreicht, was sie eigentlich vermeiden wollten: Sie unterscheiden sich optisch stark von den Hanseaten. Ein klarer Fall von Assimilations-Placebo.

Bei der Frage, wie sich der Hanseat selbst kleidungsmäßig definiert, wird es schon schwieriger. Da gibt es nämlich durchaus einen Hang zum klischeebefrachteten Kapitäns-Look: Wer auf sich hält, erscheint im dunkelblauen Blazer zum Empfang; auf Kapitänsmütze und blau-goldene Streifen auf weißem Hemd à la „Traumschiff“-Käpt’n verzichtet er allerdings.

Warum 90 Prozent der älteren, gediegenen Hamburger dieses Outfit wählen, ist ein Rätsel. Mag sein, dass sie es für standesgemäß halten. Möglich auch, dass die meisten von ihnen Landratten sind und nicht mal schwimmen können. Das ist ihnen peinlich, und so suchen sie den Makel durch das blaue Sakko zu übertünchen.

Was die hanseatische Mittelschichts-Gattin betrifft, gibt es ein weiteres Mysterium: die karierten Hosen. In groß und klein gewürfelt gibt es die, bunt sind sie oft, geschmackvoll selten. Frau trägt sie daheim, in der Mönckebergstraße, beim Besuch-Abholen, im Bus. Erklärlich ist das nur schwer, und die nächstliegende Assoziation ist diese: Es handelt sich um eine optische Reminiszenz ans Commonwealth. Denn der Hanseat fühlt sich dem Engländer ja ohnehin verwandt – vielleicht, weil er dessen Understatement teilt.

Und in diese mentale Verbrüderung muss irgendwie auch der Habitus des Kolonial-Engländers geraten sein: jenes Typs, der in karierter Hose und mit Fliegen-Kescher durch eine eroberte Wildnis stapft. Dass es sich hierbei um den Prototyp des lächerlichen Kolonial-Engländers handelt, hat die Hanseatin wohl nicht bemerkt und das Karo unverdrossen übernommen.

Doch so merkwürdig man diese Dinge auch finden mag: Ein Hamburgisches Alleinstellungsmerkmal sind die Karo-Hosen zweifellos. Denn so etwas trägt selbst der Rheinländer nur zu Karneval. In Hamburg dagegen fallen sie, da qua Gewohnheit salonfähig gemacht, gar nicht auf.  PETRA SCHELLEN