Aus Quantität wird Qual

LANGENHAGEN Mülltonnen, Löwen, nachgebildete Bewegungen: In der 50.000-Seelen-Stadt bei Hannover steht unglaublich viel Kunst im öffentlichen Raum herum. Das ist schlimm

Was hat diese Stadt bloß für ein Problem? Wahrscheinlich könnte Fritz Rodewald einen sachdienlichen Hinweis geben. Aber der ist schon tot. Und nun ist keiner mehr da, der sagen könnte, dass Langenhagen nicht nur am klassischen Minderwertigkeitskomplex einer Schlafstadt darbt, und dass es auch nicht bloß daran liegt, dass alle Langenhagen für einen Stadtteil von Hannover halten. Nein, es ist ein tieferer Schmerz, der dort die Stadtväter und -mütter zwingt, den öffentlichen Raum so komplett wie möglich zuzustellen. Mit Kunst.

Ab den 1980er-Jahren wollte man in Langenhagen plötzlich Kunst. Man fing mit harmlosen Bildhauer-Symposien an, es gab tolle temporäre Interventionen wie Yoko Onos „Celebration Of Being Human“ 1994 – das waren riesige Plakate mit nackten Durchschnittshintern, denn, so die Künstlerin, „kein Arsch kann lügen“. Aber viele Kunstwerke wurden auch dauerhaft installiert: Mülltonnen und Löwen und Bewegungsnachbildungen, aus Stein, aus Kunststoff, aus Metall, gegossen, gehämmert und verschraubt.

Und auch wenn dann nur 64 der im Vorfeld der Expo 2000 angedrohten 99 Standpunkte-Plastiken aufgestellt wurden, es ist eine geradezu bedrohliche Untertreibung, wenn die für die Bekunstung der 50.000-Seelen-Stadt verantwortliche „Kulturstiftung Langenhagen“ behauptet, jenseits des Skulpturenparks im Stadtpark finde man „Kunstwerke eher selten“. Längst regt sich in Langenhagen niemand mehr über ein zu individuelles einzelnes Werk auf, weil ja die Masse der Klötze und Figuren jedem Sprechen über deren Anmutung und Stil den Sinn entzogen hat: Die Quantität schlägt in Qual um.

Denn jedes Kunstwerk reißt den Raum, den es braucht, an sich. Oder, wie der bedeutende Kurator Kasper König jüngst auf einem Vortrag in Bremen sagte: „Kunst im öffentlichen Raum gibt es nicht.“ Klar, dass dieser Kampf weitergeht. Das Endziel hat die Kulturstiftung schon benannt: Sie will demnächst „ein umfangreiches baukulturelles Projekt“ starten. Dessen Titel: „Ganz Langenhagen ist ein Museum“.  BENNO SCHIRRMEISTER