Nach 34 Jahren ein Fahrrad

Jugendliche vom Schulzentrum Walliser Straße beschreiben in einem Armutsbericht, wie ALG-II-Empfänger leben sollen. Grüne ermöglichten den Druck der Broschüre

Bremen taz ■ Jedes vierte Kind lebt seit Hartz IV auf Sozialhilfe-Niveau. Was das heißt, haben SchülerInnen des Schulzentrums Walliser Straße in einem Armutsbericht zusammen getragen: „Getränke sind fast nur als Leitungswasser zu bezahlen“, heißt es in der Broschüre der Schüler. Für die Anschaffung eines Fahrrads stehen pro Monat 44 Cent zur Verfügung – 34 Jahre müsste ein Jugendlicher sparen, bis er sich ein günstiges Fahrrad leisten könnte. Besonders absurd: In den Durchschnittsausgaben der ärmsten 9 Prozent der Bevölkerung haben die Sozialpolitiker Ausgaben für Pelzmäntel vermutet, fiktive Ausgaben für Pelzmäntel wurden daher aus der Regelsatzverordnung für ALG-II-Empfänger gestrichen. 2,78 Euro stehen im Monat für Sport- und Freizeitveranstaltungen zur Verfügung.

Diese und andere Missstände deckt die Bröschüre „Zur Kinderarmut in Bremen“ auf. Das Heft ist aus dem gleichnamigen Schülerprojekt des Schulzentrums Walliser Straße unter Anleitung von Lehrer Hans-Wolfram Stein hervorgegangen, welches nun zum zweiten Mal von sich Reden macht: Die SchülerInnen diskutierten die Ergebnisse ihres Projektes bereits auf der „Nacht der Jugend“ im vergangenen November mit Politikern. Mit dem Verlauf der Diskussion zeigten sich die TeilnehmerInnen allerdings sehr unzufrieden. „Unsere Vorstellungen von dem Gespräch wurden nicht erfüllt“, bemängelt Christian Abelmann (18), Schüler der Höheren Handelsschule. Die Politiker seien schlecht vorbereitet gewesen und hätten die Schüler in der Diskussion absichtlich verunsichert: „Wir fühlten uns nicht ernst genommen.“

Dagegen fühlten sich die Jugendlichen von der grünen Fraktion besser verstanden. Diese hat den Druck einer Broschüre mit den Ergebnissen aus dem Schülerprojekt finanziert.

Die Broschüre bietet einen Einblick aus erster Hand in den Alltag von Kindern, deren Eltern auf das ALG-II angewiesen sind – viele der mitwirkenden Schüler sind selbst von Armut betroffen. Die Zustände, die da deutlich werden, sind haarsträubend: Nach den Regelsätzen für Kinder – 60 Prozent des Satzes von Erwachsenen – müssen zum Beispiel 2,62 Euro pro Tag für Nahrung ausreichen. Nach dem schon vergünstigten Mittagessen in der Schulmensa für 1,53 Euro bleiben für den Rest des Tages gerade noch 1,09 Euro.

Karoline Linnert, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sieht in der Veröffentlichung dieser Studie einen Schritt, Kinderarmut „auf die politische Agenda“ zu bringen. Die Verantwortlichen in Bremen und in Berlin könnten nicht länger ihre Augen vor den Problemen verschließen, sondern müssten sich mit den Folgen ihrer Entscheidungen – zum Beispiel über die Hartz-IV-Regelsätze – auseinander setzen. kf