Zum Wohle des Kreml

Karikaturen-Streit 1: Russlands Behörden drohen mit drakonischen Strafen, falls die Medien „Gefühle von Gläubigen“ verletzen. Ermittlungen gegen die Presse gehen aber aufs Konto der Kremlpartei

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Der dänische Karikaturenstreit hat Russland erreicht: Die amtliche Aufsichtsbehörde drohte gestern den Medien des Landes mit Strafen bis zum Verbot, wenn sie religiöse Gefühle verletzen. „Sollte ein russisches Medium Material veröffentlichen, das die Gefühle von Gläubigen verletzt, werden unverzüglich die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen ergriffen bis hin zum Entzug der Lizenz“, so die Medienbehörde Rosochrankultura. Doch hinter dem Schutz der Gläubigen steckt vor allem politisches Kalkül.

Präsident Wladimir Putin hatte die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen bereits als „unzulässige Provokation“ verurteilt. Moskaus Staatsanwaltschaft nahm diese Woche Ermittlungen gegen die in Wolgograd erscheinende Zeitung Gorodskije Westi auf.

Das von der Stadtverwaltung finanzierte Blatt hatte eine Zeichnung veröffentlicht, die die Stifterväter der Weltreligionen, Moses, Christus, Buddha und Mohammed in trauter Eintracht vor dem Fernseher zeigte, in dem ein Bericht über zwei sich mit Steinen bewerfende Gruppen lief. Kommentar der Karikatur: „ Das haben wir sie aber nicht gelehrt …“

Was für die Journalisten von Gorodskije Westi ein Beitrag zum Thema „ Kein Platz für Rassisten an der Macht“ war, mit dem sie im unruhigen russischen Süden zu ethnischer und religiöser Toleranz aufrufen wollen, ist für Rosochrankultura und Moskaus stellvertretenden Staatsanwalt Nikolai Schepel „Aufstachelung zu ethnischem und religiösem Streit“. Sollten Experten den Tatbestand bestätigen, drohe dem Blatt Lizenzentzug, so Schepel. Auch die Vorsitzenden der Volkskammer, einer vom Kreml handverlesenen Vertretung der Zivilgesellschaft, forderten bereits eine harte Bestrafung der Wolgograder Journalisten.

Vertreter der Religionsgemeinschaften in der Region hatten an der Karikatur allerdings keinerlei Anstoß genommen. Die Ermittlungen gehen vielmehr auf das Konto der lokalen Niederlassung der Kremlpartei „Vereintes Russland“: Sie hatte die Bevölkerung auch aufgerufen, das Blatt zu boykottieren.

In einer Stellungnahme von Vertretern anderer Parteien heißt es daher: „Es geht nicht um die Zeichnung. Dies ist ein Versuch der Machtorgane, am Vorabend der Parlamentswahlen die Meinungsfreiheit anzugreifen – jetzt auch schon in den regionalen Massenmedien.“

In der Region hätte die Kremlpartei einen schweren Stand, ihre Führung beschäftige sich deshalb mit erfundenen und virtuellen Problemen, sagt Andrei Serenko von der Stiftung für Informationspolitik in Wolgograd.

Auch der Vorsitzende des russischen Journalistenverbandes, Igor Jakowenko, wies gestern den Vorwurf der Volksverhetzung als unbegründet zurück. In Russland versuche man vielmehr, unter dem Vorwand des inneren Friedens den Karikaturenstreit zur Durchsetzung eigener politischer Ziele zu nutzen.