Kein Antrieb ohne Speisewagen

AUS DÜSSELDORF GESA SCHÖLGENS

Fast alle waren gekommen. 200 taz-GenossInnen, Mitarbeiter, Nachbarn und Prominente aus Politik, Wirtschaft und Medien füllten am Mittwochabend das Foyer des Savoy-Theaters in Düsseldorf. Gemeinsam feierten sie den Umzug der taz-NRW in die Landeshauptstadt und die Zusammenlegung der Redaktionen Bochum und Köln. Doch die taz wäre nicht die taz, wenn das Programm des Abends nur in Smalltalk am Tresen und kalten Häppchen bestanden hätte.

Unter dem Titel „NRW – Lok oder Liegewagen?“ diskutierten taz-Chefredakteurin Bascha Mika und NRW-Redaktionsleiter Christoph Schurian mit ihren Podiumsgästen über die Bedeutung Nordrhein-Westfalens für die Bundesrepublik.

Im Mittelpunkt der Gesprächsrunde standen die Stärken und Schwächen des Bundeslandes. Firmenchefin Susanne Birkenstock machte besonders auf die Probleme der UnternehmerInnen aufmerksam. „Wir sollten das große Innovationspotenzial der Menschen hier erkennen und nutzen, indem wir Existenzgründer, besonders die Frauen, stärker unterstützen“, sagte die Schuhdesignerin. „Um die kleinen und mittelständischen Unternehmen wird sich nicht gekümmert, dabei sind sie unser Potenzial.“ Die allein erziehende Mutter kritisierte auch die bürokratischen Hürden, mit denen die Firmen zu kämpfen hätten. „Immerhin gibt es jetzt ein neues Gesetz, mit dem Unternehmen, ohne einen Antrag zu stellen, eine Werbefahne anbringen dürfen“, frotzelte Redaktionsleiter Schurian. „Ja, und man darf auch auf Autobahnen wenden“, ergänzte WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn.

Der Münsteraner Politikwissenschaftler Klaus Schubert sieht den Aufbruch im Bundesland durch den „Erdrutschsieg der CDU bei der Landtagswahl im Keim erstickt“. Die Landesregierung tue sich schwer, die Vorteile des Landes darzustellen und seine Interessen im Bund zu vertreten. Für die Gäste stand fest, dass sich NRW nicht verstecken muss, aber zu wenig Selbstbewusstsein zeigt und deswegen kaum wahrgenommen wird. „NRW ist eine Lok im Sackbahnhof“, sagte die Kabarettistin Liona Albus.

Bascha Mika und Jörg Schönenborn teilten ihre Liebe zur „Entschleunigung“ in Politik und Medien. Häufig würden „Themen ohne Auswirkung und Bedeutung“ heiß diskutiert, so der WDR-Chef. Der Journalist kam auch auf die gescheiterten Prestigeprojekte in Nordrhein-Westfalen zu sprechen. „Der Metrorapid wäre ein ‚Leuchtturm‘ gewesen, aber er hatte nicht viele Freunde im Land.“ Durch die Diskussion um die Kostendeckung des Projektes sei anstelle eines Symbols für die Schaffenskraft des Bundeslandes nur eine „Neonleuchte“ herausgekommen. Schurian stimmte ihm zu: „Seit ich täglich im Regionalexpress von Bochum nach Düsseldorf fahre, sehe ich den Metrorapid auch mit anderen Augen.“

Die Arbeit der Landesregierung stieß bei den Diskussionsteilnehmern auf ein geteiltes Echo. Während Schönenborn sogar ein paar lobende Worte für die Integrationspolitik fand, äußerte Kabarettistin Albus nur wenig Verständnis: „Die Landesregierung wurde von enttäuschten Bürgern gewählt. Woher soll die schwarz-gelbe Koalition denn neue Kraft nehmen?“

Auch das Problem der Arbeitslosigkeit wurde diskutiert. Drei Viertel der Jobsuchenden seien nicht vermittelbar, so Schönenborn. Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hätten enorme Bildungsdefizite und Probleme, sich anzupassen. Die Ursache liege vielfach in den Familien. „Das ist nicht die Schuld der Landesregierung“, meinte auch Politikwissenschaftler Schubert. Susanne Birkenstock forderte die Politiker auf, Familien und Alleinerziehende mehr zu unterstützen.

Auch die Rolle von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wurde analysiert. „Rüttgers spielt politisch nicht in der ersten Liga mit“, stellte Schubert fest. „Er orientiert sich stark an Bayern, es gibt eine Achse Stoiber-Rüttgers.“ NRW sei aber „kein homogener Block wie Bayern“, sondern ein heterogenes Land, das sich noch finden müsse. Albus und Schönenborn kamen überein, dass es dem Ministerpräsidenten und seiner Partei an Profil fehle. „Rüttgers hat Merkel keine Knüppel zwischen die Beine geschmissen“, ergänzte Bascha Mika. „Von den CDU-Landesvertretern merkt man in Berlin nichts.“

Schönenborn fasste zusammen: „Für mich ist NRW weder eine Lok, noch ein Liegewagen, sondern der Speisewagen. Der Speisewagen ist weder erste noch zweite Klasse, keiner findet ihn klasse, aber jeder braucht ihn. Ohne ihn geht es im Zug nicht.“ Rüttgers Aufgabe sei klar: „Er muss Lokomotivführer werden!“

Von der Landesregierung war niemand der taz-Einladung gefolgt. „Rüttgers hat die Chance nicht wahrgenommen“, bedauerte NRW-Chef Schurian. „Vielleicht war das eine politische Entscheidung, vielleicht hat sich die Landesregierung gefragt: ‚Warum sollen wir uns mit einem Oppositionsmedium auf eine Bank setzen?‘“ Es könne aber auch sein, dass Rüttgers Termine hatte: „Im Landtag wird heute Abend Karneval gefeiert.“ Das sei aber nicht weiter tragisch, so Schurian. „Wenn wir nicht umarmt werden, ist es leichter, unbequem zu sein. Und das wollen wir.“

Die Gäste waren jedenfalls zufrieden – nicht nur mit dem Buffet, sondern auch mit „ihrer“ Zeitung. „Wir schätzen die taz als aufrichtiges Blatt, das relativ unabhängig und sehr korrekt berichtet“, sagte taz-Genossin Christiane Bürger aus Bergisch Gladbach. Ihr Mann Dietmar wünscht sich aber mehr positive Berichterstattung. „Kaum jemand weiß zum Beispiel, dass NRW der größte Solarzellenproduzent ist“, so Bürger. Schade sei auch, dass die taz in ihrem Wohnort recht unbekannt sei.

„Natürlich liest man auch Dinge, über die man sich nicht freut“, sagte die Chefin der Grünen-Fraktion im Landtag, Sylvia Löhrmann. „Aber das gehört nun mal zum kritischen Journalismus dazu.“ In Löhrmanns Augen ist die taz nrw „eine wichtige Ergänzung der Meinungsvielfalt in NRW“. Auch Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow (SPD) lobte die Zeitung als „frisch und alternativ gebliebenen Farbtupfer“ in der Presselandschaft, „obwohl ich ja selbst oft Gegenstand der Kritik war“. Der NRW-Teil sei zwar aus der Not geboren, könne aber „ein spannender Ansatz“ sein. Er wünschte der Redaktion bei ihrer Arbeit weiterhin „viel Glück“.