Problematische Rechenspielchen

LAND Die Mehrheitsverhältnisse machen die kommende Regierungsbildung kompliziert. Sicher ist: Die Rechtspopulisten bestimmen den Wahlkampf

Eine linke Regierung ist derzeit nicht einmal mit Unterstützung der sozialcalvinistischen Christen und der Tierschutzpartei mehrheitsfähig

VON TOBIAS MÜLLER

Nach dem Fall der Regierung vorletzte Woche blicken die Niederlande voraus auf die Neuwahlen am 9. Juni. Selten zuvor waren die Mehrheitsverhältnisse im Parlament derart komplex: In der Zweiten Kammer sitzen zurzeit zehn Parteien, von denen aktuell keine über 18 Prozent hinauskommt. Der christdemokratische CDA (von 41 auf 25 Sitze) und die sozialdemokratische PvdA (von 33 auf 21), 2006 die größten Parteien, verzeichnen schwere Einbußen. Die von Konflikten geprägte dreijährige gemeinsame Regierungszeit mit der Christen-Union ist beiden offenbar schlecht bekommen.

Die Zusammensetzung einer neuen Koalition wird, so die Tageszeitung Volkskrant, „die schwierigste aller Zeiten“. In den letzten 30 Jahren wurden die Niederlande zumeist von 3- Parteien-Koalitionen regiert. Die heutige Konstellation erfordert jedoch mindestens vier Parteien, um die Mindestzahl von 75 der 150 Parlamentssitze zu erreichen. Eine erneute Zusammenarbeit von CDA und PvdA gilt als unwahrscheinlich, zumal mit dem bisherigen Premier Jan Peter Balkenende und seinem Stellvertreter Wouter Bos die Protagonisten der jüngsten Eskalation als Spitzenkandidaten bestätigt wurden.

Eine Option wäre daher ein wirtschaftsliberales Kabinett, bestehend aus CDA, der rechtsliberalen VVD und den linksliberalen D66 und GroenLinks, das immerhin auf 80 Sitze käme. Obwohl die Sozialisten nach dem Fall der Regierung umgehend ein Koalitionsangebot an die PvdA richteten und diese sich seither verstärkt auf ihre traditionellen Werte bezieht, steht ein linkes Kabinett kaum zur Debatte: Eine Regierung mit PvdA, Sozialisten und GroenLinks ist derzeit nicht einmal mit Unterstützung der sozialcalvinistischen Christen-Union und der Tierschutzpartei mehrheitsfähig. Exakt auf die benötigten 75 Sitze käme dagegen eine Rechts-Koalition mit CDA, VVD und der umstrittenen Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders.

Just um die Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung der PVV, die zurzeit mit 26 Sitzen in den Umfragen vorne liegt, ist in der letzten Woche ein heftiger Streit entbrannt. Seit rund einem Jahr erzielt sie stabile Werte von knapp unter 20 Prozent und wechselt sich mit den Christdemokraten als stärkste Partei ab. PvdA-Chef Bos erklärte indes, seine Partei werde nicht mit der PVV koalieren, die wegen Wilders’ drastischer Anti-Islam-Positionen auch international polarisiert. Im Juli, wenige Wochen nach den Wahlen, wird zudem das Volksverhetzungsverfahren gegen Wilders fortgesetzt. Sollte er zu diesem Zeitpunkt in Koalitionsgesprächen involviert sein, drohte diesen damit eine zusätzliche Belastung.

Dennoch wollte Balkenende, der bis zum Juni einer kommissarischen Minderheitsregierung aus CDA und Christen-Union vorsitzt, ein Kabinett mit der PVV letzte Woche nicht ausschließen. Sein Kontrahent Bos hatte ihn dazu mit den Worten aufgefordert, ein solcher Schritt würde die Christdemokraten „zieren“. Noch etwas weiter ging der abgetretene PvdA-Staatssekretär Frans Timmermans. Er richtete einen Appell an alle Parteien, mit einer gemeinamen Front eine Regierungsbeteiligung der Wilders-Partei zu verhindern. Ablehnung erntete er darauf aber nicht nur von CDA und VVD. Auch Agnes Kant, die Vorsitzende der Sozialisten, bezeichnete den Aufruf als „unbeschreiblich dumm“. Nun kann Wilders rufen, das eine Bannmeile um ihn gelegt wird.

Geert Wilders jedoch sagt dieser Tage auffallend wenig. Als Bedingung einer Regierungsteilnahme der PVV stellte er lediglich, dass die geplante Anhebung des Rentenalters ausgesetzt werde. Soziale Profilierung statt Islamgepolter scheint das Gebot der Stunde zu sein.

Den Rest erledigt zurzeit die Konkurrenz.