Auflage ist nicht alles!

Wo steht die taz 2006? Eine Antwort von taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch

Schon immer träumt man in der taz von 100.000 täglichen taz-Käufern. Einige Monate erreicht wurden sie aber nur, als die taz auch in der untergehenden DDR mit einer Ostausgabe erschien. Der bisher einzige spektakuläre Auflagensprung ist schon zwanzig Jahre her, als mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 die Auflage von 40.000 auf 60.000 schnellte. In dieser Größenordnung bewegt sie sich seither, mit nur kleinen Ausschlägen nach unten oder oben. So mag man sich an Sisyphos erinnert fühlen, denkt man an die unaufhörlichen Bemühungen der taz um höhere Auflagen.

In der Realität ist der Kampf um mehr Auflage bei allen Zeitungen schwieriger denn je und die taz kann sogar auf Erfolge verweisen. Die im Jahresdurchschnitt verkaufte Auflage der taz ist in den fünf Jahren von 2000 bis 2005 um 3,4 Prozent gestiegen. Im Vergleich dazu verlor die Frankfurter Rundschau im gleichen Zeitraum 12,4 Prozent und die FAZ 7,8 Prozent (IVW-Angaben). Nur die Marktführerin Süddeutsche Zeitung konnte mit 3,36 Prozent fast das Wachstum der taz erzielen.

Die deutschen Tageszeitungen befinden sich seit Jahren in der Krise. Dabei geht es nicht nur um den Rückgang der Werbeumsätze in einem gesamtwirtschaftlich krisenhaften Umfeld. Die Tageszeitungen müssen mit der Konkurrenz der elektronischen Medien, neben dem Fernsehen zunehmend auch das Internet, auch um ihre lesende Kundschaft bangen. Nun muss man nicht gleich das Ende der Gattung Zeitung beschwören, aber es wird in den nächsten Jahren große Veränderungen auf dem Markt geben, auf die sich alle Tageszeitungen werden einstellen müssen. Große Sprünge sind unter solchen Bedingungen wenig realistisch, aber eine kontinuierlich positive Entwicklung, wie sie bei der taz in den vergangenen Jahren gelungen ist, muss auch das Ziel für die nächsten Jahre sein.

Da ist es gut, dass die taz nicht nur eine Nische gefunden, sondern „eine ziemliche Alleinstellung auf dem deutschen Zeitungsmarkt“ hat, wie der Unternehmensberater Roland Berger vor einer Woche in der taz geschrieben hat. Im überregionalen Markt gehört die taz nicht zu den klassischen Abonnementzeitungen und auch nicht zum Boulevard, hat aber von beiden etwas und noch vieles mehr, was andere Zeitungen nicht haben. Die Blattentwicklungen haben zuletzt immer diese notwendige Differenz zu den Wettbewerbern im Auge gehabt. Regionale Zusatzangebote sind inzwischen wieder „Alleinstellungsmerkmal“ der taz, nachdem andere Überregionale ihre regionalen Seiten für Leser in Berlin, Bayern oder NRW wieder eingestellt haben. Mit der deutlichen Schwerpunktsetzung auf den vorderen Seiten und der Seite eins sowie mit dem anderen Blick auf den taz-zwei-Seiten beweist die taz ihre Fähigkeit, Themen in der gesellschaftlichen Diskussion zu setzen.

Der wirtschaftliche Erfolg der taz wird nicht allein durch die Auflagenentwicklung bestimmt. Profil und Image der Zeitung prägen die Marke „taz“ – und deren Nutzung wird für die wirtschaftliche Zukunftssicherung der taz immer wichtiger. Gerade beim „Marketing“ geht die taz ganz eigene Wege. Bestes Beispiel dafür ist der seit Anfang der 90er-Jahre bestehende „taz-Solidarpakt“, bei dem die Abonnenten zwischen drei unterschiedlich hohen Abopreisen wählen können und somit freiwillig einen Lastenausgleich zwischen unterschiedlich zahlungskräftigen Lesern herstellen. Wenn es nach unseren Wünschen geht, dann startet die „Karriere“ eines taz-Lesers am Kiosk und führt über ein Probeabonnement, vom ermäßigten zum politischen Abopreis bis hin zur Beteiligung als Mitunternehmer an der taz-Genossenschaft, bei der sich inzwischen über 6.500 Mitglieder finanziell engagiert haben. In Zeiten des Heuschreckenalarms bei den deutschen Zeitungen garantieren sie die redaktionelle Unabhängigkeit der taz durch eine sichere wirtschaftliche Basis. Zur Marke „taz“ gehört auch der neue taz-shop und das taz-café im Verlagshaus in der Rudi-Dutschke-Straße. Hier kann man köstlichen tazpresso genießen, und wenn man gerade nicht in Berlin ist, was ja für die meisten taz-Lesenden zutrifft, sich übers Internet im taz-shop versorgen.

Die taz war 1995 die erste deutsche Tageszeitung im Internet, und gut zehn Jahre danach ist ein Ende der furiosen Entwicklung dieses Mediums nicht absehbar. Bisher ist es, im Unterschied zu vielen anderen Printmedien, der taz gelungen, das Internet auch immer wirtschaftlich zu nutzen. Mit Blick vor allem auf die nachfolgenden lesenden Generationen nimmt die Bedeutung des Netzes für die taz weiter zu. In diesem Jahr werden wir neue Konzepte für unseren Internet-Auftritt entwickeln. Im Internet kann die taz ihre publizistische Plattform erweitern und die Marke taz noch besser wirtschaftlich nutzen. Diese Aufgabe ist so wichtig wie der weitere Kampf um höhere Auflagen.