Pragmatisch gelöst

Seuchenschutz zum Schnäppchenpreis: Ein-Euro-Jobber sammeln auf Rügen Tierkadaver ein. Das ist zwar nicht rechtens – aber schließlich muss nach langem Zögern der Behörden jetzt alles flott gehen

von Benno Schirrmeister

Gefahrenzulage gibt es nicht. Ein Angestellter würde die bekommen, „wenn er besonders gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten auszuführen hat“, so regelt das der Tarifvertrag. Und das Einsammeln verendeter Vögel würde mit Sicherheit darunter fallen. Erst recht, wenn als Todesursache eine auf den Menschen übertragbare, aber nicht heilbare Krankheit gilt. Die Vogelgrippe zum Beispiel.

Aber das macht Ein-Euro-Jobber ja so praktisch: Sie sind keine Angestellten. Der Tarifvertrag hat für sie keine Geltung. Und Land und Kreis sind arm und die toten Schwäne auf Rügen müssen halt weg, jetzt aber pronto. Bundespolitiker wie Bärbel Höhn (Grüne) und Guido Westerwelle (FDP) motzen schon, dass das alles viel zu lange dauert.

Das will man sich nicht nachsagen lassen, auf der Ferieninsel Rügen, dass man zu langsam ist, und außerdem ist der touristische Folgeschaden schon groß genug. Nur fehlt es an Helfern. Also hat die Kreisverwaltung – Landrätin ist die PDS-Frau Kerstin Kassner – ganz pragmatisch und preisbewusst auf die „Beschäftigten in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ zurückgegriffen: Billiger als für einen Euro die Stunde ist Seuchenschutz nicht zu haben. „Es ist niemand gezwungen worden“, versichert ein Sprecher der Arbeitsagentur Stralsund. Die zehn Ein-Euro-Jobber, die nun auf der Insel tote Tiere einsammeln und sichten, seien in anderen Maßnahmen beschäftigt gewesen, und sie hätten sich „auf Anfrage freiwillig gemeldet“.

Nun sind die Ein-Euro-Jobs selbst keine repressionsfreien Maßnahmen: Das Motto wer nicht antritt, dem wird das Geld gekürzt, garantiert psychologischen Dauerdruck. Deshalb sei „schon das mit der Freiwilligkeit so eine Sache“, moniert Gregor Kochhan. Ausschlaggebend aber, so der Sozialrechtsexperte der Landes-Diakonie: „Die gesetzlichen Kriterien erlauben diesen Einsatz nicht.“ Zwar sei nicht zu bestreiten, dass die Hilfstätigkeit gemeinnützig ist. Sie muss jedoch, so die Bestimmungen, auch zusätzlich sein. „Zusätzlich bedeutet: Arbeiten, die nicht unbedingt ausgeführt werden müssen“, so Kochhan. Davon könne aber beim Einsammeln von Tierleichen die Rede nicht sein. „Das gehört zur Gesundheitsfürsorge“, sagt Kochhan, sei also „eine Pflichtaufgabe“.

Klingt einleuchtend, zumal dem Agentur-Sprecher zur Verteidigung nur einfällt, dass die Betroffenen – was man bis dahin für selbstverständlich gehalten hätte – mit „Schutzanzügen ausgestattet worden“ seien, dass zudem „die Ein-Euro-Jobs ja auch an den Arbeitsprozess wieder heranführen“ sollten, was das Vögeleinsammeln ja genauso wie jede andere Maßnahme gewährleiste. Und dass man eben „zu wenig Leute“ gehabt hätte.

Vielleicht ist der Beruf des Vogeleinsammlers tatsächlich einer mit Zukunft. Der Personalmangel allerdings ist durch Trödelei selbst verschuldet: Dass man angesichts der lange bekannten Bedrohung durch Vogelgrippe eher hätte reagieren müssen, haben Kreisverwaltung und Landwirtschaftsminister mittlerweile eingeräumt. Jetzt ist die Notsituation aber da und man braucht dringend helfende Hände. Es wäre auch nicht grundsätzlich falsch, in dieser Lage Arbeitslose einzusetzen, sagt Kochhan. „Aber das Mindeste wäre, sie dabei angemessen zu entlohnen.“ Darüber aber hat man auf Rügen nicht nachgedacht.

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