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Explosion im Hyperraum

Melancholie trifft Fragmentarismus: 25. Stipendiatenausstellung im hiesigen Kunsthausarbeitet sich an der als unwirtlich empfundenen Welt ab und flieht bisweilen in andere Dimensionen

von Hajo Schiff

Seit einem Vierteljahrhundert gibt es jetzt erfolgreich das Hamburger Arbeitsstipendium für bildende Kunst. Erfolg versprechend steigt auf Einladungskarte und Katalog des Förderjahrgangs 2005 ein Ballon in die Höhe – dass es ein Fesselballon ist, mag darauf hindeuten, dass alle Freiheiten, auch die, die ein Stipendium gewährt, nur begrenzt sind.

Die übliche Abschlussausstellung der zehn Geförderten im Kunsthaus ist immer etwas problematisch, da die Stipendien ja für individuelle Leistungen vergeben wurden und nicht etwa für eine gemeinsame Ausstellung. So sind die verschiedenen Positionen nur mit Mühe in zwei Gruppen zu gliedern: die Geschichtenerzähler mit ihren oft melancholischen Figuren und abseitigen Orten – und die Fragmentaristen, deren Arbeit eine als unwirtlich empfundene Welt zerlegt und neu zusammensetzt.

Jan Köchermann etwa baute ganz absurd einen Fußgängertunnel in die Ausstellung und belebte ihn bei der Eröffnung mit ohrenbetäubendem Getrommel. Beides ist eine Reverenz an seine Außenraum und Innenraum mischende Beschäftigung mit einer nicht immer menschenfreundlichen Architektur, die er gern mit Aktionen und Musik belebt. Dem schmalen, kunstgekachelten Gang entkommen, haben die Besucher am Ende einer ins Nirgendwo führenden Treppe allemal eine gute Aussicht auf die Ausstellung. Dabei fällt sogleich die komplizierte Antennenanlage von Sonja Vordermaier auf: Die Künstlerin wurde mit Installationen aus zerschlagenem Glas bekannt, hier scheinen die wirr verschachtelten Antennen aus Ekel vor dem permanenten Empfang sinnloser Nachrichten schon dabei, sich selbst in Aluminiumschrott aufzulösen.

Die Auflösung der Form ist auch Thema bei Antje Bromma. Oder soll man eher von einer Wiederüberformung sprechen, wenn sie in mühsamer Arbeit kleinste Fundstücke zu einem scheinbar schwerelosen Universum zusammenbindet, eine Arbeit, die entgegen aller unbestreitbaren Objekthaftigkeit eigentlich wie eine im elektronischen Hyperraum explodierende informelle Malerei wirkt.

Fragmentiert sind auch die Elemente in den Großzeichnungen von Gudny Gudmundsdottir. Natur und Technik scheinen weniger Gegensätze, als lückenhafte Ergänzung. Zwischenräume bestimmen auch die Arbeiten der Koreanerin Jeong-Eun Lee. Ein Fries schmaler, senkrechter Holzstäbe ist der Fond für die Zeichnungen, Pläne und Videoprojektionen ihrer Reiseerinnerungen. Diese sensiblen Notate können auch auf Booten, Betten und Bänken auftauchen und ziehen in ein internationales Panorama rastloser Orientierungsversuche. Nicht leicht fällt die Orientierung auch in den schwarz-weißen Bildern von Peter Boué: Zeigen die Fettkreidezeichnungen Idyllen oder Katastrophen, sind es verfremdete Landschaften, nachgemalte Medienbilder oder ist all dies gar nicht von dieser Welt?

Peter Boués Zeichnungen sind von der Fotografie jedenfalls beeinflusst, auf den Film verweisen Henrik Holds zeichnerische Bestandsaufnahmen von Räumen. Es scheinen mögliche Filmsets, Storyboards, denen die Personen abhanden gekommen sind. Explizit vom Kino geprägt sind dann die Dekonstruktionen im festen und im laufenden Bild von Matthias Meyer. Die aus Rumänien stammende Aurelia Mihai schließlich ist Filmkünstlerin: In professionell wirkenden Videos widmet sie sich den unauflösbaren Differenzen von Heimat und Folklore, der Nichtidentität privater Geschichte.

Und dann ist da noch die seltsam zeitlose, superpastose Ölmalerei des an der Akademie in Athen ausgebildeten Nikos Valsamakis. Er ist einer der wenigen, die sich hierzulande den dicken Malstil der Engländer um Lucian Freud, Frank Auerbach oder Leon Kossoff zu eigen gemacht haben.

Di–So 11–18 Uhr, Kunsthaus, Klosterwall; bis 12.3.

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