Kommunikative Zicken

Nachdem die deutschen Eisschnellläuferinnen um Anni Friesinger in der Teamverfolgungdie Goldmedaille gewonnen haben, wird ein Loblied auf das tolle Binnenklima angestimmt

„Wir habenalle an einemStrang gezogen“

AUS TURIN FRANK KETTERER

Noch gleich am Abend ist viel von Kommunikation die Rede gewesen im Oval Lingotto, wo die olympischen Eisschnelllaufwettbewerbe ausgetragen werden. „Wir haben eine gute Kommunikation“, tat etwa Claudia Pechstein kund, und was das alles so bewirken kann, blieb ebenfalls nicht unerwähnt: „Wir hatten ein gutes Verhältnis, weil wir miteinander gesprochen haben“, erklärte jedenfalls die 34-jährige Berlinerin. Auch Anni Friesinger wollte das nicht unbestätigt lassen, ganz im Gegenteil. „Wir haben harmoniert, weil wir miteinander kommuniziert haben“, sagte die blonde Frau aus Inzell, die im Ziel Tränen vergossen hatte vor lauter Glück und auch vor Erleichterung.

Anderntags stieg dann auch noch Markus Eicher, der Mann, der die Verantwortung getragen hatte für das deutsche Frauenteam, auf das kleine Podest der Pressekonferenz, um all das zu unterstreichen: „Wir haben alle an einem Strang gezogen. Es gab nicht eine Unstimmigkeit. Wir haben besser harmoniert als alle anderen Teams.“ Ganz normal ist das nicht, wenn Deutschlands Eisschnellläuferinnen an den Start gehen, selbst dann nicht, wenn sie gemeinsam in einem Team antreten, anstatt wie gewohnt gegeneinander zu kämpfen. Und deshalb war die Erleichterung ganz besonders groß, als sie alle zusammen, also Claudia Pechstein, Anni Friesinger, Daniela Anschütz-Thoms, Lucille Opitz sowie Sabine Völker, olympisches Gold gewonnen hatten in der Teamverfolgung.

Besonders Markus Eicher konnte man anmerken, wie froh er war, die heikle Mission erfolgreich über die Bühne gebracht zu haben. Schließlich galt die Teamverfolgung schon im Vorfeld als brandgefährliche Mischung aus sicherster Goldmedaille und Selbstzerfleischungskommando. Sie haben sich zusammengerauft – und für Ersteres entschieden. Und am Ende sind sie sogar gemeinsam auf Ehrenrunde gegangen und haben sich dabei so innig umarmt, dass man hätte meinen können, da unten fahren die besten Freundinnen, Busenfreundinnen quasi, zusammen Schlittschuh. „Dass das hier so harmonisch geklappt hat, lag auch am Teamchef, Herrn Eicher“, lobte Claudia Pechstein am nächsten Morgen und nach einer kleinen Feier am Vorabend den Trainer, der normalerweise die Konkurrentin Anni Friesinger coacht, hier in Turin aber auch für das ganze Team zuständig war – und damit maßgeblich für all die gute Kommunikation.

Welch hervorragenden Job Eicher in Turin gemacht hat, erkennt man am besten, wenn man zurückblickt und sieht, wie es beim letzten Mal war, als das Team um Medaillen gelaufen war: Bei der Weltmeisterschaft in Inzell handelte sich die Mannschaft in der Besetzung Friesinger, Völker und Anschütz zwar ebenfalls Gold ein, aber schon im Vorfeld auch jede Menge Zoff, weil Claudia Pechstein sich von Bundestrainer Helmut Kraus bei der Nominierung übergangen fühlte.

Es gab jede Menge böse Worte, sogar in schriftlicher Form, und hätte nicht Gerd Heinze, der neue Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) ein ganz besonders mächtiges Machtwort gesprochen, wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre. So aber drängte Heinze auf einen Waffenstillstand, sogar eine Art Friedendsvertrag wurde ausgehandelt – und schriftlich formuliert. Ein bisschen später wurde dann Markus Eicher zum Teamchef gewählt, der Friesinger-Coach.

Eicher hat in Turin alles richtig gemacht oder zumindest wenig falsch. Und das, obwohl der Austragungsmodus bei den Olympischen Spielen neu war und ungewohnt für alle, weil ab dem Viertelfinale ausgetragen im K.o.-Modus, also Land gegen Land. „Das bedeutete vier Rennen, an denen fünf Frauen über zwei Tage lang beteiligt waren“, sagte Anni Friesinger – und viel besser hätte man die Unlösbarkeit der Aufgabe, die Eicher hier gelöst hat, nicht beschrieben können.

Eicher hat die Zicken von ehedem gebändigt und dabei ganz auf Kommunikation gesetzt, nicht nur mit den Athletinnen, sondern auch mit deren Trainern. Niemand sollte sich benachteiligt fühlen, niemand bevorzugt, weder auf noch neben der Bahn.

Mag sein, dass dem Trainer dabei das Abschneiden im Eröffnungsrennen über 3.000 Meter am Sonntag ein wenig hilfreich war. Sowohl Friesinger als auch Pechstein waren dort ohne Medaillen geblieben – und möglicherweise hat den beiden Eisdiven das die Möglichkeit vor Augen geführt, dass man Olympia auch ganz schnell mal ganz ohne Gold beenden kann.

Und mag zudem sein, dass sich Pechstein und Friesinger just in diesem Moment der Niederlage an die sichere Goldmedaille erinnert haben, die es mit dem Team zu holen gab – wenn sie nur zusammen kämpfen würden – und nicht gegeneinander. „Wir haben an einem Strick ziehen müssen“, hat Claudia Pechstein gestern gesagt – und es hat ein bisschen nach Zweckgemeinschaft geklungen. Aber das ist egal, schließlich war der Zweck Gold und hat die Mittel allemal geheiligt. Jede von den fünfen hat schon jetzt gewonnen, vor allem Friesinger und Pechstein dürften dadurch eine große Last und jede Menge Druck verloren haben, was sich nur positiv auswirken kann auf den weiteren Verlauf der Spiele.

Annie Friesinger will am Sonntag über 1.000 Meter an den Start gehen, sie ist dort Favoritin. Claudia Pechstein könnte nächsten Samstag über 5.000 Meter sogar ihre sechstes Olympiagold gewinnen und damit die erfolgreichste Wintersportlerin aller Zeiten werden. Was ein bisschen Kommunikation doch bewirken kann.