Wenn die Flut plätschert

Der Zweiteiler „Die Sturmflut“ (So. und Mo. 20.15 Uhr) über die Hamburger Überschwemmungs-Katastrophe von 1962 ist der teuerste Film des Privatfernsehens – leider eine Fehlinvestition

VON HANNAH PILARCZYK

Fast könnte man dem Norddeutschen Rundfunk Böswilligkeit unterstellen. Zwei Mal hat der NDR in den vergangenen Wochen seine Doku-Fiction „Die Nacht der großen Flut“ über die Hamburger Sturmflut gezeigt. Schauspieler stellen darin die unfassbaren Geschichten der Nacht zum 17. Februar 1962 nach: zum Beispiel die von einer Familie, die sich wie viele auf das Dach ihres Hauses rettet. Auf einmal fängt die Oma im Nebenhaus an, um Hilfe zu rufen. Keiner wusste, dass sie zu Hause ist. Hilflos verharrt die Familie auf dem Dach, während die Fluten weiter steigen und die Oma immer verzweifelter schreit. Bis sie ganz verstummt.

Es sind solche erschütternden Geschichten, die erklären, warum RTL in der Hamburger Katastrophe so viel dramatisches Potenzial sah, dass es die Produktionsfirma teamworx (siehe Kasten) mit dem teuersten Filmprojekt des Senders überhaupt beauftragte. Leider sind es auch solche Geschichten, die verdeutlichen, wie sehr „Die Sturmflut“ darin scheitert, aus dem Stoff etwas anderes als reißerisches Popcorn-Fernsehen zu machen.

Zwei Familien treibt der Film am Abend der Flut zusammen. Die kleinbürgerlichen Döbbelins und die mondänen Abts feiern gemeinsam in Wilhelmsburg Polterabend: die Krankenschwester Katja Döbbelin (Nadja Uhl) soll endlich den Oberarzt Markus Abt (Jan Josef Liefers) heiraten, mit dem sie bereits einen sechsjährigen Sohn hat. Die Stimmung auf dem Fest ist ohnehin angespannt, weil die Abts die Wahl ihres Sohnes als nicht standesgemäß empfinden. Da platzt auch noch Katjas große Liebe Jürgen (Benno Fürmann) in die Feier: Nach Jahren auf See hat er plötzlich erkannt, dass es für ihn keine andere als Katja geben kann. Währenddessen reißt eine Sturmflut ungekannten Ausmaßes die Dämme in Hamburg ein. Und plötzlich ist nicht nur die Hochzeit, sondern die ganze Hochzeitsgesellschaft in Gefahr: Wilhelmsburg liegt in einem Tal und wird von den Wassermassen gnadenlos überrollt.

8 Millionen Euro hat der „große Event-Zweiteiler“ unter der Regie von Jorgo Papavassiliou gekostet. Davon sind laut RTL 1,2 Millionen in die Spezialeffekte geflossen, der Rest muss aufgeteilt worden sein zwischen der Besetzung – von Götz George bis Bettina Zimmermann sind fast alle deutschen TV-Stars versammelt – und dem Szenenbild – die überschwemmten Hamburger Straßenzüge wurden in einem ehemaligen Freibad in Essen nachgebaut und mit sechs Millionen Litern Wasser geflutet. Für ein gutes Drehbuch und eine saubere Dramaturgie scheint jedenfalls kaum Geld übrig geblieben zu sein: Der Film strotzt vor Brüchen und Sprüngen.

Da hat Vater Döbbelin (Elmar Wepper) ein Problem mit den langen Haaren seines Sohnes, aber keins mit dem unehelichen Kind seiner Tochter, die nach Jahren der wilden Ehe nun doch heiraten will. Und dass Nadja Uhl, obwohl das Wasser zur selben Zeit ganze Autos mitreißt, ihren Filmsohn mit Hilfe eines Kreppbandes (kein Witz!) aus den Fluten ziehen kann, scheint auch keinen gestört zu haben.

Gleichzeitig nimmt auch der zeithistorische Hintergrund kräftig Schaden: Übereifrig wird hier eine Kulisse aus babyblauen Autos und im Trüben schwimmenden Soleiern aufgebaut, um sie sogleich wieder einzureißen. Spätestens als Ex-Soapstar Gil Ofarim auf dem Polterabend einen skurrilen Promo-Auftritt hinlegt, in dem er einen absolut anachronistischen selbst komponierten Rockpop-Song singen darf, ist klar: Hier geht es vor allem darum, ein retrospektives Zerrbild der frühen 60er-Jahre zu spiegeln. Aus dem „Opa erzählt vom Krieg“-Ansatz, den zeithistorische Filme notgedrungenerweise haben, wurde bei der „Sturmflut“ einfach die Opa-Perspektive gestrichen. Der Zweck ist klar: Die Geschichte soll von so viel Geschichte befreit werden, bis sie auch die werberelevanten jungen Zuschauer als pädagogikfreie Unterhaltung verdauen können.

Ein Opa hat indes doch Platz in der „Sturmflut“: Helmut Schmidt. Der tatkräftige damalige Innensenator von Hamburg wird von Christian Berkel so bemüht dargestellt, dass das TV-Magazin des Sterns schon zu Recht schrieb, er bewege sich „hart an der Grenze zur Karikatur“: verschluckte Endsilben und s-pitze S-tolper-s-teine überall. Immerhin steuert Berkel noch einen zweiten Superlativ, den sich die „Sturmflut“ neben den Produktionskosten verdient hat, bei: Seine Nasen- und seine Rotzrinnen(!)-Prothesen gehören sicherlich zu den lustigsten Requisiten der Fernsehgeschichte.