„Es herrscht eine künstliche Verlangsamung“

Die Stimmung im Iran habe ihn ein wenig an den Ostblock vor dem Mauerfall erinnert, meint Volker Schlöndorff. Im Januar war der Regisseur bei einem Filmfestival im Iran. Er empfiehlt die iranischen Beiträge auf der Berlinale

taz: Herr Schlöndorff, Sie waren im Januar Jury-Präsident beim Farj-Filmfestival im Iran. Wie haben Sie dort den Karikaturenstreit erlebt?

Volker Schlöndorff: Es war schon sehr frappierend, dass sich die Hysterie dort überhaupt nicht übertragen hat. Die oft sehr zugespitzten Äußerungen der Politiker wurden zur Kenntnis, aber nicht allzu ernst genommen: so wie das Gekläff von Hunden.

Wie haben Sie das Land auf Ihren Streifzügen empfunden?

Man spürt deutlich die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit. Und natürlich hat man das Gefühl, dass das Verhältnis der Geschlechter zueinander nicht das beste ist – ein Land also, dessen Probleme unter der Oberfläche zu brodeln scheinen.

Religiöse Erregung ist Ihnen gar nicht begegnet?

Eigentlich nicht. Das religiöse Element erscheint eher als Konvention, die man mit mehr oder weniger Überzeugung bedient und die vielleicht auch nicht als so repressiv empfunden wird, wie das dem westlichen Spaziergänger erscheinen muss: Der ist zunächst erschrocken über das Straßenbild mit den verschleierten Studentinnen und Schülerinnen – und fragt sich: Wird da nicht eine Generation um ihre Jugend betrogen? Aber dann merkt man, die gehen damit spielerisch um, indem sie das Kopftuch in ein modisches Accessoire verwandeln. Und auch in den Filmen erscheint das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nicht durch religiösen Respekt vor dem anderen geprägt – zum großen Teil rechtfertigen diese Konventionen nur ein patriarchalisches Weltbild.

Eruptionen habe ich nirgends gespürt: Es wirkt eher ein bisschen wie im Ostblock kurz vor dem Mauerfall, wo auch eine gewisse wirtschaftliche und gesellschaftliche Lethargie vorherrschte. Und wenn man sich die iranischen Filme im Vergleich mit südamerikanischen oder europäischen Filmen betrachtet, dann erscheinen die Gestik und die Bewegungsabläufe in anderen Filmen doppelt so schnell.

Was heißt das?

Man merkt, dass die Menschen sich in eine künstliche Verlangsamung begeben haben. Vielleicht ist das eine Überlebensstrategie. Und manchmal denkt man auch: Eine Verlangsamung der Geschichte wäre vielleicht auch etwas ganz Heilsames. Die reine Beschleunigung des Fortschritts hat ja nicht unbedingt zu größerer Gerechtigkeit geführt.

In den Neunzigerjahren stand das iranische Kino bei uns hoch im Kurs. Was gibt es dort heute zu sehen?

Dieses iranische Kino hat im Ausdruck und in der Form ein gewisse Perfektion erreicht: die minimalistische Art von Kiarostami, der universelle menschliche Anspruch – so etwas wird aber leider immer irgendwann zu einem Rezept, zur Formel.

Dagegen haben die Filme, die man jetzt bei der Berlinale sehen kann, etwas sehr Informatives: Es sind beinahe Sozialreportagen, als Spielfilm getarnt.

Zum Beispiel?

Der erfrischendste Film ist für mich „Men at work“. Er handelt von einer Gruppe von Männern aus der Mittelschicht, die in einer Straßenkurve in den Bergen plötzlich auf einen unverrückbaren Felsklotz stoßen. Als ob es im Leben sonst nichts gäbe, was sie herausfordert, erfinden sie sich ein künstliche Aktivität – das erinnert fast an Buñuel oder an absurdes Theater, Ionescu.

Am unteren sozialen Rand spielt dagegen „Slowly“, ein Film über einen Bauarbeiter und sein Verhältnis zu seiner Frau, die plötzlich untertaucht, was sehr mysteriös bleibt. Wie er dann auf der Suche über Schwiegereltern, Nachbarn, den Metzger und einen Universitätsprofessor verschiedene Schichten durchläuft, das wirkt wieder wie eine verkappte Sozialreportage. Es erscheint jedenfalls nicht leicht, in diesem Land zu leben, wenn man nicht gerade zur Mittelklasse, zu diesen „Men at work“, gehört.

Was kann das deutsche Kino vom iranischen Film lernen?

Man kann immer nur von großen Künstlern lernen, ob das nun Kiarostami ist, Samira Makhmalbaf oder ihr Vater. Bei denen ist es wie bei den frühen Filmen von Andrzej Wajda: Ein Film kann ruhig roh und unbehauen und minimalistisch sein – was er braucht, ist eine Dringlichkeit und eine Haltung der Filmemacher. Da wird bei uns noch zu viel Wert gelegt auf die Oberfläche und die Effekte gelegt, aber die Ernsthaftigkeit fehlt. Aber so etwas kann man nicht verordnen: Im Iran wird das einem durch den Zustand der Gesellschaft diktiert.

Was das deutsche Publikum vom iranischen lernen könnte, dass ist die Begeisterung und die Aufmerksamkeit auch für schwierige Filme. Es gibt im Iran etwa zwanzig bis dreißig ernst zu nehmende Filmzeitschriften, und in Deutschland nur den epd Film – und das ist eine gute Zeitschrift, die sich aber nicht jeder Filmfan am Kiosk kauft.

INTERVIEW: AMIN FARZANEFAR