VOGELGRIPPE: SEEHOFER ÜBERSCHÄTZT DIE MÖGLICHKEITEN DES BUNDES
: Forderungen für die Talkshow

Die Vogelgrippe auf Rügen bestätigt eine Lieblingsidee der Bevölkerung: Die Verwaltung versagt, sobald sie spontan gefordert ist. Ein amtlicher Virus-Schnelltest war nicht mehr schnell, weil er tagelang in einer Bürostube liegen blieb. Und um ein paar tote Vögel zu bergen, muss die Bundeswehr einspringen und mit ihren Schutzmasken aushelfen. Der Zuschauer im Fernsehsessel fragt sich irritiert: Wie kann das bloß sein? Es ist die Zeit der wackeren Helden, wie Politprofi Horst Seehofer erkannte. Der CSU-Agrarminister geriert sich nun als der große Zupacker und Durchgreifer. Als Erstes forderte er mehr Bundeskompetenzen, also mehr Macht für sich selbst.

Seehofer scheint jedoch die Möglichkeiten des Bundes zu überschätzen: Es ist nicht vorstellbar, dass die Bundespolizei flächendeckend nach toten Schwänen und Singvögeln fahndet. Das Ministerium in Berlin wäre also weiterhin darauf angewiesen, dass Länder und Landkreise zuverlässig ihre Vor-Ort-Informationen über totes Getier abliefern. Selbst ein großmächtiger Bundesminister kann nicht verhindern, dass nachrangige Behörden ihre Tests verschlampen.

Müsste aber der Bund nicht wenigstens dafür sorgen, dass alle Länder die gleichen Mengen Tamiflu einlagern? Das Grippemittel könnte eventuell den Krankheitsverlauf lindern, falls das Virus vom Vogel auf den Menschen überspringt. Momentan schwanken die Vorräte aber erheblich: Sachsen-Anhalt könnte knapp 6 Prozent seiner Bevölkerung versorgen, Nordrhein-Westfalen rund 30 Prozent. Das wirkt erstaunlich. Doch zentrale Anweisungen würden nur Scheinsicherheit erzeugen – die unterschiedliche Lagerhaltung spiegelt wider, wie schwierig die Kosten-Nutzen-Rechnung bei der Vogelgrippe ist. Schließlich ist Tamiflu nicht billig und es ist auch nicht ewig haltbar. Gut möglich, dass die Steuermillionen umsonst ausgegeben werden.

Beliebt ist auch der Arbeitsauftrag an den Bund, dass er mobile Tierärzte-Kommandos schaffen soll, die zu jedem Verdachtsfall einer Vogelgrippe rasen. Neu sind Tierarzt-Streifen indes nicht: Momentan werden sie von den Ländern vor allem genutzt, um Schlachthöfe zu kontrollieren. Die Kompetenzverteilung ist dabei nicht das Problem – es fehlt das Geld. Schon bei den letzten Fleischskandalen fiel auf, dass es zu wenig Veterinäre im Staatsdienst gibt. Wenn der Bund nun weitere Tierarzt-Stellen spendieren will: herzlich willkommen.

Es ist eigentlich ziemlich langweilig: Die einzig wirksame Maßnahme gegen die Vogelgrippe wurde bereits verordnet – die Stallpflicht. Aber mit dieser simplen Feststellung lassen sich keine Talkshows bestreiten. ULRIKE HERRMANN