Ein Fluss, fünf Gesetze

VON THORSTEN DENKLER
UND NICK REIMER

Bildung, Umweltrecht, Beamtenbesoldung – am späten Donnerstagabend im Reichstag sollten die „letzten Streitfragen“ der Föderalismusreform geklärt werden: Die Länder sollen mehr Zuständigkeit bekommen – im Gegenzug auf Mitbestimmung im Bundestag verzichten.

Nur: Darum ging es am Donnerstag bei dem Treffen im Bundestag gar nicht. Als Ländervertreter hatten die Ministerpräsidenten von Bayern, Berlin und NRW zwei andere Forderungen im Gepäck: Sie wollen künftig die Verwaltung auch von solchen Bundesgesetzen selbst regeln, die schon vor der Reform in Kraft getreten sind. Die Homoehe etwa ist nur durchgekommen, weil der Bund damals auf Verwaltungsregeln verzichtet hatte, sonst wäre das Gesetz zustimmungspflichtig gewesen. Nur in einigen Ländern werden deshalb Schwule und Lesben von Standesbeamten getraut. Zweite Forderung: Überall dort, wo die Länder Möglichkeiten der Abweichung von Bundesgesetzen bekommen werden, soll der Bund am besten gar keine Regeln mehr aufstellen.

Schwerer Tobak für die Vertreter des Bundes. Bisher nämlich gilt „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Entsprechend wiesen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seine Justizkollegin Brigitte Zypries (SPD) die Länderforderungen zurück. Der Kompromiss sieht jetzt so aus: Der Bund darf neue Regeln aufstellen, die Länder dürfen davon aber abweichen. Für die Verwaltungsverfahren wird eine Übergangsfrist bis 2009 eingerichtet.

Völlig egal, ob solche Scharmützel für mehr Reform-Klarheit oder für weniger sorgen: Längst geht es nicht mehr um die Sache. „Wer auch nur einen Baustein dieser Reform verändert, dem bricht das ganze Paket zusammen“ – argumentieren viele Verhandler aus Bund und Ländern. Ein Stillhalteappell, hinter dem eine Zweidrittelmehrheit steht: Die ist nötig, um das Grundgesetz zu ändern.

Fraglich, ob der Appell Gehör findet: Auch unter regierenden Bildungspolitikern wird inzwischen offen Opposition gegen die Pläne gemacht. Die Beamten wehren sich, dass die notorisch klammen Länder künftig ihre Bezüge bestimmen. Vor allem aber die Umweltpolitiker beklagen schwere handwerkliche Fehler. Die Umweltsachverständigen der Bundesregierung hatten kürzlich vor dem Umweltausschuss des Bundestages die Konsequenzen der Reformpläne aufgezeigt: ein ineffizientes, unübersichtliches, zersplittertes Umweltrecht ohne erkennbares System.

„Vor allem die Abweichungsmöglichkeiten, die den Ländern zugebilligt werden, widersprechen einem effektiven, modernen und wirtschaftsfreundlichen Umweltrecht“, urteilt Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Grünen. Die Reform so umgesetzt, wie sie jetzt entworfen wurde, bedeute beispielsweise beim Hochwasserschutz: Ein Fluss bekomme fünf verschiedene Gesetze – wenn er durch fünf verschiedene Länder fließt.

Vom Abfall- bis zum Naturschutzrecht – derlei Abweichungsmöglichkeiten werden den Ländern in sehr vielen Umweltfeldern eingeräumt. Ursprünglich hatte die Opposition ein gemeinsames Vorgehen gegen die Regierung verabredet. Zwar hätte auch das die verfassungsändernde Mehrheit der Regierungsparteien nicht gefährdet. FDP, Linke, Grüne hatten allerdings auf Unterstützung von den Umweltpolitikern aus SPD und CDU gehofft – und die hatten auch Unterstützung signalisiert.

Aber diese Signale braucht es nun nicht mehr. Statt einen gemeinsamen brachten FDP und Grüne getrennte – sich zum Teil widersprechende – Anträge ein. Warum es nicht zum gemeinsamen kam? Sylvia Kotting-Uhl: „Das kann Ihnen der Herr Westerwelle beantworten.“