HAMBURGER SZENE VON ROGER REPPLINGER
: Überall Socken

Was hat das zu bedeuten? Reißen sich die Menschen die Kleider vom Leib? Am Ende gegenseitig? Aus schierer Lust?

Ich habe noch keine Stadt gesehen, in der so viel Kleidung auf der Straße liegt. In deutschen Städten, und auch sonst überall auf der Welt, sieht man Handschuhe, mal eine Mütze oder einen Schal. Aber hier: Socken, Unterwäsche, Hosen, Schuhe, Pullover. Was hat das zu bedeuten? Reißen sich die Menschen die Kleider vom Leib? Am Ende gegenseitig? Aus schierer Lust? Müsste man sie dann nicht sehen, wie sie halbnackt herum rennen? Im Winter? Oder wenigstens hören? Ist nicht der Fall.

Es sind Kleidungsstücke darunter, wo wir auch bei nur oberflächlicher Betrachtung den Eindruck gewinnen könnten: Hier wollte sich jemand oller Klamotten entledigen. Aber es sind auch Hosen darunter, wenn die eine tüchtige Hausfrau in der Mangel gehabt hat, dann tun die es noch mal ein paar Jahre.

Wem verdanken die Straßen dieser vortrefflichen Stadt die Kleidung, die sie verziert? Dem Wind. Natürlich. Der sie herunterreißt von Wäscheleinen und Wäscheständern. Der stärker ist als jede Wäscheklammer, der wir unsere Ober- und Unterbekleidung anvertrauen. Der Wind, dieser höhnische Geselle, der uns beim Joggen an der Alster stets als Gegenwind ins Gesicht bläst, der das Fahrradfahren zur Anstrengung macht, der durch Kleid und Haar fährt und der ein Dieb ist. Ein Wäschefetischist. Ein Unruhestifter. Ein Hoch auf ihn!