KOMMENTAR VON SILKE MERTINS ÜBER DIE ABSETZUNG MURSIS UND DEN PYRRHUSSIEG FÜR DIE LIBERALE OPPOSITION IN ÄGYPTEN
: Falsche Freunde

Die ägyptische Armee braucht selbst dringend eine Demokratisierung

Mohammed Mursi hat politisch versagt. Er hat die soziale Notlage der Bevölkerung verschärft, die Bürgerrechte beschnitten, die Islamisierung vorangetrieben. Mursi, Antisemit und Machtmensch, hat die Aufständischen von 2011, die liberalen Kräfte, um die Revolution betrogen. Aber er ist auch das: der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens.

Mit seiner Absetzung wird zum dritten Mal ein Wahlsieg der Islamisten in der arabischen Welt nicht anerkannt. Wie in Algerien. Auch den Hamas-Sieg in den Palästinensergebieten versuchte man rückgängig zu machen. Beides endete blutig. Davon erholt hat sich niemand.

Aber der Jubel war ohrenbetäubend, als Armeechef Abdel Fattah al-Sisi die Absetzung des Präsidenten und die Aussetzung der Verfassung verkündete. Doch die Mursi-Gegner, die mit Feuerwerk und Freudentänzen bis in den frühen Morgen feierten, haben einen Pyrrhussieg errungen. Die Generäle sind für die demokratische Bewegung die falschen Freunde. Sie sind keine Demokraten und sie sind erst recht keine Garanten einer demokratischen Entwicklung.

Die Armee – die größte der arabischen Welt, mit äußerst undurchsichtigen Strukturen – braucht dringend selbst eine Demokratisierung. Sie ist ein Staat im Staate, unterhält zahlreiche Unternehmen, Clubs, Kaufhäuser, Wohnsiedlungen und vieles mehr. Der Anteil der Armee an der Wirtschaftsleistung des Landes beträgt 25 bis 30 Prozent. Jede demokratische Regierung, die versuchen würde, die Privilegien des Militärs anzutasten, könnte alsbald ebenfalls unter Hausarrest und Anklage stehen. Schließlich zieht die Armee seit Jahrzehnten im Hintergrund die Fäden. Ohne den Einfluss der Armee, die ihre Interessen gefährdet sah, hätte Husni Mubarak nach 30 Jahren autoritärer Herrschaft 2011 nie zum Rücktritt gezwungen werden können.

Besonders die liberale Opposition wird sich nicht sicher sein können, dass die Militärs nicht als Nächstes eine Regierung stürzen, die sie gewählt hat und ihren Vorstellungen entspricht. Die Freude über die Absetzung Mursis durch das Militär ist deshalb kurzsichtig. Die Intervention der Armee könnte sich als gefährlicher herausstellen als derzeit absehbar. Ägypten droht eine tiefe Spaltung, womöglich algerische Verhältnisse.

Solange Islamisten nicht demokratiefähig sind – und dafür spricht bei der Muslimbruderschaft und den Salafisten ja so einiges –, haben sie bei einer demokratischen Wahl nichts verloren. Sie erst zuzulassen und dann wieder abzusetzen, zumal durch das Militär, schwächt jede demokratische Entwicklung. Denn nicht die Demonstranten haben Mursi abgesetzt. Es waren die Generäle.