Krawall-Kulisse: Rote Flora

SCHANZENFEST Nach der Messerstich-Attacke im Vorjahr fällt das Fest in diesem Jahr wohl aus. Es habe sich zu einer Plattform für Krawall-Macher entwickelt

■ Das nicht kommerzielle und autonom organisierte Schanzenfest ist zu einer Attraktion in der Stadt geworden. Jedes Jahr besuchen Tausende das Fest und 13 Jahre lang verlief das friedlich.

■ Das erste Schanzenfest stieg 1988, nachdem das Musical-Projekt „Phantom der Oper“ im alten Flora-Theater verhindert wurde.

■ Das erste angemeldete Fest fand 1990 vor der bereits besetzten Roten Flora statt.

■ Debatten darüber, ob das stetig größer werdende Fest nicht zur Konsummeile verkomme, gab im Kreis der Organisatoren bereits Ende der 90er-Jahre.

■ 2000 wurde entschieden, das Fest wieder politischer zu machen und es nicht mehr offiziell anzumelden. So sollten auch behördliche Auflagen umgangen werden.

■ 2003 brannte nach dem Fest ein Lagerfeuer auf dem Schulterblatt und der damalige Innensenator Ronald Schill (Schill-Partei) ließ das Fest erstmals räumen. Seither kommt es abendlich zu Krawallen.

VON KAI VON APPEN

Dieses Jahr wird es wohl kein Schanzenfest geben und damit wäre nach 24 Jahren eine Tradition beendet. Die Organisatoren des Festes ziehen nach langer Diskussion wohl die Konsequenzen aus den Ereignissen im vorigen Jahr. Unbekannte hatten bei den „traditionellen Krawallen“ einen Baum unter dem Vordach der Roten Flora angezündet und zwei Rote-Flora-Aktivisten mit Messern niedergestochen, als diese das Feuer löschen wollten. Offiziell wollen die Organisatoren noch kein Statement abgeben.

Im Transmitter, dem monatlichen Programm-Magazin des Freien Sender Kombinats (FSK), hat sich jetzt aber der Rote-Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt, der in den 1990er-Jahren Mitorganisator des Festes war, zu Wort gemeldet. Er analysiert, wie es dazu kommen konnte, dass das einst friedliche Straßenfest zuletzt zu einem Anziehungspunkt für Krawall-Macher geworden ist.

Blechschmidt gibt dem früheren Innensenator Ronald Schill, (Schill-Partei) die Schuld. Denn es war Schill, der das 13 Jahre währende Gentlemen’s Agreement zwischen Organisatoren und den Behörden aufkündigte, als er 2003 Polizeitruppen mit Wasserwerfern zum ritualisierten Lagerfeuer zum Ausklang des Festes auf das Schulterblatt schickte.

Der symbolische Ort Rote Flora, der eigentlich für politische Inhalte stehe, sei „zur Bühne eines sich an sich selbst berauschenden Krawalls“ geworden, sagt Blechschmidt. „Schlimmer noch, die Flora dient nur als Plattform für diejenigen, die mal richtig loslegen wollen.“ 2006 mischten sogar Polizisten in ihrer Freizeit mit.

„Der symbolische Ort Rote Flora ist zur Bühne eines sich an sich selbst berauschenden Krawalls geworden“

ANDREAS BLECHSCHMIDT, ROTE FLORA

In der linken Szene sei damals der Diskurs „einfach gestrickt gewesen“, sagt Blechschmidt. Die Mehrheitsmeinung ging so: Die Polizei habe mit ihrer Eskalationsstrategie seit 2003 die Auseinandersetzungen selbst initiiert. Und in der Folge verfestigte sich ein „eindimensionaler Militanzdiskurs, dessen problematischer Aspekt schon seit Langem zu beobachten war“, so Blechschmidt.

Einige Schanzenfest-Besucher, die sonst stigmatisierenden Kontrollen und institutionalisierten Rassismus ausgesetzt waren, machten Krawall, um „offene Rechnungen zu begleichen“ und veranstalteten „männerdominierte Inszenierungen“, die im Widerspruch zum Politikansatz stehen, der sich als „emanzipatorisch, befreiend und antihierarchisch begreift“, sagt Blechschmidt. Und im Laufe der Jahre schienen die Aktionen ausschließlich das Ziel zu haben, „die zuletzt gesuchten Konfrontationen mit der Polizei zu rechtfertigen“, sagt Blechschmidt.

Immerhin habe sich nun die Einsicht durchgesetzt, dass diese Strategie seit den Messerstichen im vorigen Jahr inakzeptabel sei. Nun müsse seiner Auffassung nach in der innerlinken Debatte die Frage sein, ob soziale Revolte und Widerstand nur an einem vergleichsweise willkürlichen Tag des Schanzenfestes stattzufinden habe – oder ob es nicht an 364 anderen Tagen im Jahr dafür ausreichend Gelegenheit gebe.