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FERIENWOHNUNGAndere Geräusche

Früher hingen hier die Mitglieder einer Jugendbande herum

Nachdem ich die Sachen in den Rucksack getan hatte, rauchte ich noch eine Zigarette, um mich von meiner Wohnung zu verabschieden. Dann setzte ich mich aufs Fahrrad und fuhr los. Es war heiß, die Welt sah schön aus, aber auch ein bisschen komisch. Das lag mit daran, dass ich vergessen hatte, meine Brille abzusetzen.

Vorderrad, Lenker und die Straße, auf der ich fuhr, waren nun einen Tick größer und deutlicher als in echt. Der Fernbereich war aber nicht so gut. Ich überlegte, die Brille wieder abzusetzen, ich dachte an Sonnenbrillen und dass ich in diesem Jahr bislang noch keine Sonnenbrille getragen hatte. Dann war ich auch schon an meinem Ziel, in T.s Wohnung.

Wir hatten uns bei einer Türkei-Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt getroffen. Sie hatte gesagt, sie würde für zwei Wochen nach Israel fahren. Ich hatte gefragt, ob ich in dieser Zeit bei ihr Ferien machen könne, weil ich Angst hatte vor der großen Hitze, und nun war ich hier.

Obgleich ihre Wohnung nur fünf Minuten von meiner entfernt ist, ist es hier ganz anders. Meine Einzimmer-Neubauwohnung hat eher mediterranen Charakter mit Balkon. Weit blickt man Richtung Westen in den Himmel und zum Domäne-Kaufhaus. Es überwiegen die Blautöne. In meiner Altbau-Ferienwohnung überwiegen dagegen warme Farben. Die Häuser in der Straße sind in Rot- und Gelbtönen angestrichen. Auch die Geräusche sind anders. Bei mir ist es ein mehr oder weniger durchgehender Verkehrssound plus U-Bahn – hier kommen nur ab und zu Autos vorbei. Dafür hört man die Stimmen der Leute vor dem Späti und dem Ex-Videodrome. Früher hingen hier die Mitglieder einer Jugendbande herum. Nun sind es meist Erwachsene. Vielleicht sind es die Gleichen.

Es war eine warme Sommernacht, und die Blätter der Balkonpflanzen zitterten im Wind, als wollten sie was sagen.

DETLEF KUHLBRODT

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