KAI SCHÄCHTELE WUTBÜRGER
: Bis über die Füllhöhe und weiter

Erotik gewinnt seinen Zauber aus dem Versprechen auf mehr. Und es ist deshalb eine Enttäuschung, mit der man erst einmal zurechtkommen muss, wenn sich beim Auspacken herausstellt, dass das, worauf man sich so gefreut hat, nicht mehr wird, sondern weniger. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass Erotik immer auch mit Genuss zu tun hat, mag man sich ausmalen, was in mir gestern Morgen für ein Sturm tobte, als ich eine Packung Biomüsli öffnete: Mindestens ein Viertel darin war nicht mit glücklichen Körnern und Beeren gefüllt, sondern mit mich unglücklich machender Luft.

Die Konsumgesellschaft hat ja eine Art erotisches Paradoxon erschaffen. Es wird uns eingeredet, dass wir immer mehr wollen sollten. Doch in Wahrheit kriegen wir immer weniger. Man muss nur mal in ein Kaugummidöschen etwas genauer hineinsehen. In der Regel haben sich darin die Kaugummis so weit zurückgezogen, dass man meinen könnte, sie hätten Angst, nach draußen geholt zu werden. Die Hersteller begründen das mit variierenden Füllhöhen durch den Transport. Ich respektiere das, indem ich das Zeug einfach im Regal stehen lasse. Mein Motto: Stell dir vor, es ist Konsumterror und keiner kauft ein. Aber bei einem Müslihersteller, dessen Logo zwei Fachwerkhäuser zeigt, direkt über dem Schriftzug „Hof-Manufaktur seit 1974“, ist das etwas anderes. Der Betrieb und ich sind gleich alt. Wenn man so will, bin auch ich in einer Art Hofmanufaktur entstanden. Das verbindet. Da lässt man sich nicht so einfach abspeisen.

Also Anruf in Bremen, nach einigen Tagen die Antwort per Mail. Es würden Fertigpackungen verwendet, bei denen „im Kopfraum der Tüten Platz benötigt wird, damit die Verpackungen sicher verschlossen werden können“. Deshalb sei nicht das Volumen des Produkts angegeben, sondern das Gewicht.

Auf diese Erklärung kann man nun reagieren, indem man nur noch mit Haushaltswaage zum Einkaufen geht. Oder indem man seine Haltung ändert. Ich habe beschlossen, Füllhöhen künftig nur noch als Fühlhöhen zu begreifen. So klappt’s auch wieder mit der Erotik.

Hier wüten abwechselnd Kai Schächtele und Isabel Lott