Demokraten für ein Kaiserbad

AUS KREFELD HENK RAIJER

Schmutz und Putz bedecken den alten Glanz. Aber Millionen Füße haben den reich ornamentierten Fliesen in 116 Jahren nichts anhaben können. Die Fenster sind vor Dreck fast erblindet, aber wie zur Eröffnung im Mai 1890 leuchtet die Wandelhalle des heute leblosen Badetempels in der Krefelder Innenstadt vom Boden her. Die blau-weiß-roten Farbmuster seien fünf Millimeter stark und würden sich daher kaum abnutzen, schwärmt Veit Berroth, Denkmalpfleger der Stadt, während er mit der rechten Schuhspitze Farbschilfer beiseite schiebt. „Alle Fliesen und Kacheln in diesem Gebäude stammen aus ein und derselben Fabrik, und es waren die teuersten, die man damals kriegen konnte.“ Überhaupt sei das Haus grundsolide gebaut, so Berroth. „Aber einen unbeheizten Leerstand wird es nicht lange überstehen.“

Soll es auch gar nicht, findet eine modernisierungwütige Phalanx aus CDU/SPD und Krefelder Stadtverwaltung. Das Schwimmbad im Herzen der Seidenstadt, das einmal als schönste Badeanstalt im deutschen Reich galt und heute denkmalgeschützt und weitgehend im Originalzustand vor sich hin modert, kommt die Verwaltung zu teuer. Eine Renovierung des Schmuckstücks, in dem der Badebetrieb vor gut zwei Jahren eingestellt wurde, ist nach Meinung der Mehrheitsfraktionäre im Rat zu aufwändig. Schon die Instandhaltung verschlinge zu viel öffentliche Mittel. Ende Januar beschloss nun der Kultur- und Denkmalausschuss mit den Stimmen von SPD und CDU, vier von den fünf seit Herbst 2005 vorliegenden Entwürfen für eine künftige Nutzung eine Absage zu erteilen und nur noch mit einem einzigen Investor über die Ausgestaltung seiner Pläne für das Objekt zu verhandeln: Joachim Tenkhoff.

Denkmal oder Schrott

Und der hat mit dem 7.500-Quadratmeter-Areal mitten in der City wahrhaft Großes vor. Die Frage Denkmal oder Schrott scheint für Tenkhoff Properties längst entschieden, ein Einkaufszentrum der Superlative soll dort entstehen, wo viele der 240.000 Einwohner der Stadt am Niederrhein mal schwimmen gelernt haben. Die Hallenbäder sollen zu Einzelhandelsflächen umgestaltet, das Freibad aus dem Jahre 1925 und die historischen Wannenbäder gar abgerissen werden. Und damit sein „Kaiserbad-Center“ die Investitionssumme von 80 Millionen Euro auch lohnt, sollen nach Tenkhoffs Plänen zudem 16 zum Teil denkmalgeschützte Häuser in der Nachbarschaft seinem dreigeschossigen Glas- und Stahlpalast samt Parkhaus weichen.

„Mit dieser Entscheidung greift der Stadtrat die Denkmalwürdigkeit des Gebäudes an“, empört sich German Feldmann, Sprecher der Initiative „Bürgerentscheid Pro Stadtbad Krefeld Neusser Straße“, die seit einigen Wochen in der Innenstadt Unterschriften sammelt, um einen Bürgerentscheid über das Bad herbeizuführen. Die Initiative benötigt mindestens 7.169 Unterschriften von Krefelder Bürgern, die 16 Jahre alt sind und das Kommunalwahlrecht besitzen. Und dass die Krefelder an ihrem Bad hängen, zeigt die breite Unterstützung für eine Alternative zur Kaputtsanierung. „In nur vier Wochen haben bereits 13.000 Krefelder unterschrieben“, freut sich Feldmann. „Und die Stadtverwaltung hat von den bislang überreichten 8.500 Unterschriften am Freitag 7.224 für gültig erklärt und damit das Bürgerbegehren für zulässig erklärt.“

Für eine Befassung in der Ratssitzung Ende März reicht es also. Dennoch geht die Kampagne weiter, bald liefere man die „zweite Fuhre“ im Rathaus ab, sagt Feldmann. Weil die endgültige Entscheidung über einen Verkauf des Bades erst fällt, wenn der Investor sein Angebot unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Aspekte bis ins Detail ausgearbeitet hat, gebe es für die Unterschriftensammlung „kein zeitliches Limit“, sagt der 37-jährige, der in der Internetbranche tätig ist. Es handele sich um ein „initiierendes Bürgerbegehren“, damit man ja nicht plötzlich vor vollendeten Tatsachen stehe. „Sobald das Bad verkauft ist, können wir nichts mehr machen, dann ist das Privatrecht. Damit uns das nicht passiert, machen wir die Aktion jetzt.“

Wirtschaftlichkeit

Die Initiative fordert einen Kurswechsel, so lange er noch möglich ist. Politik und Verwaltung sollten die Gespräche auch mit jenen Planungsbüros wieder aufnehmen, die Nutzungskonzepte entwickelt haben, die acht Millionen Euro erfordern und sich auch ohne Zuschüsse rechnen: als Schwimm- und Wellnessbad.

1890 betrug die Abrechnung für den Badepalast 919.134 Mark und 89 Pfennige, satte 700.000 mehr, als zu Baubeginn veranschlagt. Zur Eröffnung schwärmte die Crefelder Zeitung: „Die Ausstattung ist bis in die kleinste Einzelheit so prächtig und zweckmäßig, dass man über die Höhe der Kosten durchaus nicht mehr in Erstaunen gerät.“ Auch Veit Berroth gerät ins Schwärmen, immer wenn er Besuchern beim Gang durch die nach Geschlechtern getrennten Schwimm-, Heil- und Reinigungsbäder die Gewölbe und Fliesenarbeiten zeigt: die dunkelblau floral verzierten weißen Kacheln der Schwimmbeckenwände oder die vanillefarbenen Fliesen in den Kuppelgewölben des Heilbädertrakts. „Diese fugenlose Fliesentechnik beherrscht heute keiner mehr“, erzählt der 41-jährige Raumplaner, während er mit einer Taschenlampe die Gewölbe im Ruheraum abtastet. „Das könnte auch keiner mehr bezahlen.“

Für den Krefelder Baudezernenten Thomas Visser hat bei der Bewertung der Kriterien für eine Erhaltung des Bades die Wirtschaftlichkeit oberste Priorität. „Und die sehe ich bei vier von fünf eingereichten Entwürfen nicht gegeben“, erklärte Visser jüngst dem Kultur- und Denkmalausschuss. Einzig der Tenkhoffsche Entwurf, der für sein Einkaufszentrum einen ganzen Wohnblock einbezieht, enthalte durch den Einzelhandel über mehrere Straßenzüge eine solide Verwertungsgrundlage. Wo der Baudezernent und die Ratsfraktionen von CDU und SPD von einem innerstädtischen Umsatzmagneten träumen, geben Kritiker wie etwa der Einzelhandelsverband und die Krefelder Architektenverbände zu bedenken, dass Krefeld schon heute 10.000 Quadratmeter leer stehende Verkaufsfläche verzeichne, ein Mehrbedarf von 18.000 Quadratmetern also nicht existiere. Hinzu kommt, dass die Industrie- und Handelskammer (IHK) jüngst in einer Studie zum demographischen Wandel in der Region zu dem Ergebnis kam, dass 8.000 Haushalte bis 2015 aus Krefeld abgewandert sein werden und die Ausgabenströme um neun Prozent zurückgehen.

„Schaukasten“

Auch der Landschaftsverband Rheinland (LVR) warnt vor einem groben Schnitt. Sie sehe „mit Sorge, dass der Denkmalschutz bei den jetzigen Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint“, schrieb Helmtrud Köhren-Jansen vom LVR/Rheinisches Amt für Denkmalpflege dem Baudezernenten und den Ratspolitikern ins Stammbuch. „Die eventuelle Realisierung des Einkaufszentrums kann denkmalpflegerischen Erfordernissen in keinster Weise genügen“, so Köhren-Jansen. „Die Integration von einzelnen Versatzstücken in den Neubau hat mit Denkmalschutz nichts zu tun.“

Jeder Laie könne erkennen, dass bei einer Realisierung des Kaiserbad-Centers nichts vom Denkmal übrig bleibt, kritisiert die grüne Ratspolitikerin Heidi Matthias. „Die Wannen- und Heilbäder werden abgerissen und das Herrenbad verkommt zu einem Schaukasten“, moniert Matthias. CDU und SPD ließen sich vor den Karren eines Großinvestors spannen.

Trotz manch farblich unpassender Kachelungen oder schmuckloser Neonröhren in Folge von Krieg oder „Verschönerungen“ der 50er und 60er Jahren stuft Veit Berroth das Gesamtensemble als „hochrangig“ ein. „Als ich das erste Mal hier war, konnte ich‘s kaum glauben“, sagt der Denkmalpfleger und beschwört mit einem Finger am verstaubten Treppengeländer den Glanz vergangener Tage.

Mittwoch (22.2) stellen zwei Architektengruppen ihre Pläne zur Erhaltung des Stadtbads vor: 19.30 Uhr, Krefeld, Hansa-Zentrum, Neusser Straße