Bremsers Turneinlage

André Lange und Kevin Kuske gewinnen olympisches Gold im Zweierbob – auch nach einer slapstickreifen Panne im zweiten Lauf gerät das deutsche Hightech-Gefährt nicht aus der Erfolgsspur

AUS CESANA PARIOL FRANK KETTERER

Diese verrückte Szene vom Vortag flimmerte natürlich auch an diesem Abend immer wieder über den Bildschirm, und je öfter André Lange sie sah, umso mehr konnte auch er darüber lachen. Es war auch wirklich eine Art sportlicher Slapstick, der sich da zugetragen hat im zweiten Lauf des olympischen Zweierbob-Rennens, normalerweise passieren solche Dinge jedenfalls eher den Exoten-Schlitten, über die dann, wenn sie nur ein wenig Glück haben, später Walt Disney einen Film dreht. Diesmal aber hatte es „Deutschland I“ erwischt, den Bob von André Lange – und wenn beim Olympiafavoriten aus Suhl nur ein bisschen mehr Pech hinzugekommen wäre, hätte er die Eisrinne ganz alleine hinunterrasen müssen – und Kevin Kuske, Anschieber und Bremser, hätte ihm dumm hinterhergeschaut.

So weit ist es glücklicherweise nicht gekommen, Kuske hat es dann doch dabei belassen, beim Start, der ja entscheidend sein kann beim Bobfahren, zunächst mit dem Fuß wegzurutschen und dann auch noch mit der Hand daneben zu greifen. In den Bob hat er es dennoch irgendwie geschafft, auch wenn Lange, der Pilot, zunächst nicht ganz genau sagen konnte, wie, Lange sitzt schließlich vorne und muss lenken. Mitgekriegt vom missratenen Einstieg seines Mitfahrers hat er jedenfalls nur dies: „Es hat geruckt, dann habe ich eine an den Schädel gekriegt. Dann hat es wieder geruckt und ich habe überlegt, ob er nun drin ist.“ Kuske war drin – und so stand der gemeinsamen Siegesfahrt nicht mehr viel im Wege. Lange und Kuske verloren in diesem zweiten Lauf zwar einige Zeit auf die Konkurrenz, aber keineswegs Zeit genug. Einen Tag und zwei weitere Durchgänge später jedenfalls stand die Besatzung von „Deutschland I“ da und durfte den Gewinn der olympischen Goldmedaille feiern. Und später am Abend, als die verrückte Szene so ungefähr zum hundertsten Mal über den Bildschirm geflimmert und das ein oder andere Bier durch die Kehlen von „Deutschland I“ geflossen war, konnte auch André Lange herzhaft darüber lachen. War schließlich alles gut gegangen, und sogar ein bisschen mehr noch: Durch die „kleine Turneinlage“, fand der 32-jährige Olympiasieger, habe man schließlich Olympiageschichte geschrieben.

So war aus einem filmreifen Slapstick nur zwei Tage später ein großes Ausrufezeichen für die Überlegenheit von Lange geworden. Und natürlich wurde der Olympiasieger am nächsten Tag von der Presse gefragt: Herr Lange, warum waren Sie der Konkurrenz so haushoch überlegen? Lange erzählte von seiner ersten Begegnung mit der Bahn von Cesana Pariol. Die gilt als besonders schwer zu bändigen, aber er, Lange, habe sich einfach in seinen Bob gesetzt und sei runtergefahren. Und als er unten angekommen war, habe er gleich gewusst, dass es passt zwischen ihm und der Bahn – und wie er das so erzählte, klang es fast nach einer kleinen Liebe auf den ersten Blick.

Auf der anderen Seite, da will Lange keinen Hehl draus machen, kommt es in kaum einer anderen Sportart so sehr aufs Material an, im Prinzip ist Bobfahren die Formel 1 des Wintersports. Langes Bob kommt, wie auch der von Matthias Höpfner und Marc Kühne, am Sonntag Fünfte, aus der Entwicklungsstube des Berliner Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Es gilt als das beste in der Szene – und das mit dem am meisten Aufwand gefertigte. So begann die Entwicklung der Bobs, in denen Lange und Höpfner bei Olympia zu Tal rasen, bereits vor vier Jahren. Zunächst wurde mit einer speziellen Software die besonders windschnittige Form des Gefährts entworfen, nach zwei Jahren schließlich der Prototyp gebaut, die Pläne dafür füllen bei der FES zwei dicke Aktenordner. Rund 100.000 Euro hat der Schlitten von André Lange vom Reißbrett bis zur ersten Ausfahrt gekostet. Und als der Thüringer diese im November beim Weltcup in Kanada unternahm, staunte nicht nur die Konkurrenz, sondern auch der Chef des Materialausschusses des internationalen Verbandes. Der, berichtete Lange, habe seinen neuen Bob als „geniale Lösung“ gepriesen, vor allem aber habe er die Neuentwicklungen als den Regeln entsprechend abgenommen.

Umso mehr echauffierte sich der Thüringer Pilot nun, dass ausgerechnet in Turin Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Materials aufgekommen sind. Von behandelten Kufen und unerlaubten Fahrwerken war am Tag nach dem Rennen jedenfalls die Rede, sozusagen von Bob-Doping. Lange kennt diese Verdächtigungen, die immer mal wieder aufgekommen sind, aber von der Materialkommission der FIBT noch nie bestätigt wurden. „Es gibt eben viele Neider“, sagte der Olympiasieger gestern, bevor er von dannen zog. Schließlich steht schon Freitag und Samstag die Entscheidung im Viererbob an. Auch dort sitzt André Lange in einem verdammt schnellen Bob. Ob es der Konkurrenz passt oder nicht.