Humor hat er auch noch

TV Das Filmfest in München hat das deutsche Fernsehen des kommenden Jahres gezeigt. Es wird viele Krimis geben. Manche öde, aber einige Filme haben den Mut zum Geheimnis. Mehr davon!

AUS MÜNCHEN DAVID DENK

Mit furchterregender Kriegsbemalung im Gesicht kauert dieser Typ in der Toreinfahrt und starrt ins Leere. Er sieht aus, als sollte man ihn besser nicht ansprechen. Eher einweisen. Ein Gemeingefährlicher, der doch eigentlich die Stadt sicherer machen soll: Ludwig Schaller (Alexander Held) ist Polizist. Einer der Ermittler, die in der Krimi-dominierten Reihe „Neues deutsches Fernsehen“ des am Samstag zu Ende gegangenen Münchner Filmfests ihren Einstand gaben – in diesem Fall einen, der kaum Fragen offen lässt. Leider.

Im Pilotfilm zur ZDF-Samstagskrimireihe „München Mord“ wird der frühere Chef der Mordkommission in eine Abteilung strafversetzt, in der er und die beiden Kollegen Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) unter Schallers Leitung möglichst wenig negativ auffallen sollen.

Sieht hihi aus. Und sonst?

Fällt das jetzt noch unter unorthodoxe Ermittlungsmethode oder schon unter Wahnsinn – eine Frage, die sich Schallers Umwelt andauernd stellt, etwa wenn er mit seinem Irrenblick durch eine Autowaschanlage tapert und vor sich hin brabbelt. Das Tragische ist, dass selbst den Filmemachern (Buch: Alexander Adolph und Eva Wehrum; Regie: Urs Egger) nicht klar zu sein scheint, warum er das tut. Sieht hihi aus, klar, aber sonst? Die Handlung jedenfalls treibt sein Delirium kaum voran, bringt den Fall der Lösung nicht näher.

Überhaupt, der Fall – war da was? Das Verschwinden eines IT-Beraters bildet trotz der hinreißenden Julia Koschitz in der Rolle der vom Kummer hysterisierten Ehefrau lediglich den Rahmen zur Einführung der drei Ermittlerfiguren: Das sind neben Schaller die leicht graumäusige verkrachte Musikerin und Nichte des Polizeipräsidenten sowie der notorische Weiberheld mit dem geschäftsschädigenden Vornamen, der hinter seiner harten Schale doch tatsächlich einen weichen Kern verbirgt.

Da weiß man als Fernsehzuschauer, was man hat – „München Mord“ ist Symptom einer Krankheit, ein weiterer öder TV-Krimi mit Ermittlern ohne Geheimnis, ohne Entwicklungspotenzial. Das Filmfest München zeigt, wie das Fernsehen im nächsten Jahr werden wird. Also die Zukunft. Und die ließe sich durchaus ideenfreudiger und überraschender vorstellen.

Klar, es gibt noch ärgerlichere Aussetzer, festivalwürdig macht „München Mord“ seine Mittelmäßigkeit aber noch lange nicht. In ihrem unermüdlichen Bestreben, bloß niemanden durch menschliche Komplexität zu überfordern, gleichen die für diesen Krimi zuständigen ZDF-Redakteure jenen begrenzt sympathischen Zeitgenossen, die einem ungefragt erzählen, wie die oder der denn so ist – noch bevor man sie oder ihn überhaupt kennengelernt hat.

In derselben Stadt wie Schaller, aber auf einem anderen Stern ermittelt Hanns von Meuffels (Matthias Brandt). Sein fünfter „Polizeiruf 110“ mit dem hübsch entrückten Titel „Der Tod macht Engel aus uns allen“ (Buch; Günter Schütter; Regie: Jan Bonny), der schon nächsten Sonntag im Ersten läuft, ist eines der raren Highlights der TV-Reihe des Festivals – ein auf unangestrengte Weise eigener Film, der ambitioniert, aber nicht überkandidelt daherkommt, kraftvoll und zärtlich zugleich, der vor allem aber seine Figuren ernst nimmt, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen.

Ach so, Humor hat er auch, eine Art Mutterwitz, meilenweit entfernt von der nervtötend zahnlosen Drolligkeit anderer Filmfest-TV-Reihen-Produktionen wie „Uferlos!“ (Regie: Rainer Kaufmann) und „Paradies 505 – Ein Niederbayernkrimi“ (Regie: Max Färberböck).

Filme wie „Der Tod macht Engel aus uns allen“, Reihen wie der Münchner „Polizeiruf 110“ versöhnen ein Stück weit mit der deutschen Fernsehfiktionsrealität und dem Krimigenre, das seiner Popularität leider qualitativ oft nachsteht. Auch wenn die Selbstbeweihräucherung des Senders bei der Premiere des neuen Brandt-„Polizeirufs“ nervte: Ja, es ist eine Leistung, eine Reihe und ihre Figuren vor schlechten Büchern und Regisseuren zu schützen – aber auch keine Geheimwissenschaft. Oder anders: Das ist euer Job, liebe Fernsehredakteure, macht ihn doch bitte einfach und überlasst es Kritikern und Zuschauern, eure Filme „mutig“ zu nennen.

Aber zurück zu von Meuffels: Zu seinem Dienstantritt 2011 wusste der Sonntagskrimizuschauer nicht viel mehr über ihn als die adlige Herkunft, die sein Name verrät. Und daran hat sich bis heute zum Glück wenig geändert. Dass einem auch nach fünf Filmen partout kein plakatives Einwortattribut einfallen will, spricht für die Qualität der Reihe.

Die Bücher von Könnern wie Schütter oder Christian Jeltsch, inszeniert von Dominik Graf oder Hans Steinbichler, haben von Meuffels mit Situationen konfrontiert, auf die er bzw. sein Darsteller Matthias Brandt zu reagieren hatte: dem Hass eines ganzen Dorfes auf einen mutmaßlichen, aber freigesprochenen Mörder etwa, einem mysteriöser Verwechslungsmord, einem Selbstmordattentat oder jetzt eben einer auf einer Münchner Polizeiwache zu Tode gekommenen Gefangenen. So einfach ist das. Und so schwer.

Der Münchner „Polizeiruf 110“ ist eine Feier der Beiläufigkeit, des sukzessiven Entblätterns einer Figur. Dass er sich im aktuellen Film etwa ein bisschen in die Transe Almandine Winter (Lars Eidinger) verliebt, hätte von Meuffels vorher selbst nicht geahnt. Dass er am Ende des Films stotternd vor der Polizeipsychologin sitzt, die er in der grandiosen Eingangsszene noch verarscht hat, ebenso wenig.

Natürlich ist es merkwürdig, ja traurig: bei hiesigen Produktionen solche Aspekte herauszustellen, die in US-Serien längst selbstverständlich sind und ihren weltweiten Erfolg begründen. Ein Don Draper etwa, Hauptfigur in „Mad Men“, ist so schnell nicht auserzählt, weil er Geheimnisse haben und behalten darf. Doch solange das eigentlich Selbstverständliche die Ausnahme von der Regel ist, gilt es, diese zu loben – in der Hoffnung, dass sich die Regel ändert.

Auch und gerade als Weiterbildungsangebot für deutsche TV-Autoren, Regisseure und Redakteure bot sich bei diesem 31. Filmfest das in Kooperation mit dem Pay-TV-Sender Sky initiierte Serien-Special an. „Die Geschichte einer verschlafenen Revolution!“, attestieren die Kuratoren im Programmheft mit Blick auf deutsche Fernsehsender.

Zu den vielversprechendsten Produktionen der Reihe gehörte „Banshee – Small Town, Big Secrets“, eine Serie des Senders HBO, der mit dem Mafia-Epos „Sopranos“ eine der ersten großen US-Fernseherzählungen neueren Datums zeigte. Alan Ball („Six Feet Under“, „True Blood“) produziert sie. In einer grandiosen Exposition wird der gerade haftentlassene Meisterdieb Lucas Hood darin zum Sheriff eines Städtchens in Pennsylvania – was ihn vom Stehlen nicht abhält. Wirklich böse aber sind andere.

Schlecht für den Blutdruck

Neben Hauptdarsteller Antony Starr brilliert vor allem der Däne Ulrich Thomsen („Adams Äpfel“) als diabolischer Unterweltboss Kai Proctor. Sex, Gewalt, Selbstironie – nach den zwei in München gezeigten Folgen ist man angefixt, ist die Neugier geweckt auf die Entwicklung der Figuren. Man ahnt, dass die Rasanz zunehmen wird und die Handlung Wendungen nimmt, bei denen Figuren und Zuschauern schwindelig wird. So muss gutes Fernsehen sein – schlecht für den Blutdruck. Leider wirkt das Fernsehen hierzulande allzu oft sedierend eindimensional. Es soll nicht aufregen – und tut es gerade deswegen.

In der Reihe „Neues Deutsches Kino“ vergab die Jury den wichtigen Förderpreis übrigens in allen vier Kategorien (Regie, Schauspiel, Buch, Produktion) an einen Film: „Love Steaks“ des jungen Filmemachers Jakob Lass, entstanden ohne Senderbeteiligung und Fördergelder. Eine Entscheidung wie ein Weckruf: Her mit den radikalen, mutigen Stoffen, weg mit den Bedenkenträgern in den Redaktionen und einer Förderpolitik, die Filme wie „Love Steaks“ eher verhindert. Ein vergleichbarer Weckruf fürs deutsche Fernsehen lässt leider noch auf sich warten. Er käme durchaus gelegen.