60 Torten für die Zeit

Gebet, so wird euch gegeben: Giovanni di Lorenzo speist das Volk auf dem Hamburger Marktplatz

Giovanni di Lorenzo ist Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Mit schickem Kurzmantel (grau) und Schal (schwarz) steht er auf dem Hamburger Rathausmarkt im eisigen Wind, um ihn ist Gedränge. 60 Marzipantorten mit dem Zeit-Schriftzug sind vor ihm auf Tischreihen aufgebaut. Auch als Gesamtbild sollen sie die Zahl formen, aus deren Anlass gefeiert wird: Die Zeit wird 60 – auf den Tag genau.

Die Rathausuhr schlägt 12 Uhr mittags, die Anwesenden warten. Endlich taucht aus dem Gewühl ein blonder Schopf auf: Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust bahnt sich den Weg durch die Menge. Gemeinsam mit Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser und dem früheren Zeit-Herausgeber Theo Sommer schreitet di Lorenzo zur Tat und schneidet die erste Torte mit einem profanen Fleischermesser an: Die ersten Stücke gehen an von Beust und Bürgerschaftspräsident Berndt Röder. Auch die Sänger eines etwas dünnen, aber doch erkennbaren „Happy Birthday“ aus der Menge werden vom Chefredakteur persönlich mit Süßem belohnt. Fleißige Helfer machen sich nun ans Werk, schneiden Torten und speisen das hungernde Hamburger Volk.

Nachdem Interviews gegeben und Fotos gemacht sind, widmet sich di Lorenzo seiner Leserschaft. Geduldig beantwortet er Fragen und signiert sogar das Buch einer Passantin: Danielle Steels „Der Ring aus Stein“ wird in Zukunft wohl nicht mehr gelesen, sondern stolz als Ansichtsexemplar ausgestellt. Wer der Herr ist, der dem Chefredakteur ein Bild überreicht, das diesen im Kreise ehemaliger Kollegen zeigt, bleibt im Dunkeln. Nach einer guten halben Stunde setzt di Lorenzo seine Mütze auf und entschwindet unauffällig in der Menge.

Irgendwann ist der Hunger der Passanten auf Marzipantorte gestillt. Selbst einige ältere Damen, die in Servietten eingepackte Tortenstückchen in der Manteltasche mitschmuggeln, lehnen nun ab. Einige nicht angeschnittene Torten und Körbe voller Berliner werden wieder eingepackt – für die Kollegen in der Zeit-Redaktion? Die haben schließlich auch ihr Stück vom großen Kuchen verdient. Julia Sorge