Nur ein bisschen Spionage

VERHANDLUNGEN Die angestrebte Freihandelszone zwischen der EU und den USA weckt wirtschaftliche Hoffnungen. Die NSA-Überwachung wird deswegen rasch verziehen

„Es wäre ein schwerer Fehler, die komplizierten Verhandlungen mit weiteren Bedingungen zu belasten“

KLAUS ZIMMERMANN, WIRTSCHAFTSFORSCHER

VON NICOLA LIEBERT

Erst bespitzeln sie uns, und dann sollen wir mit ihnen ein brüderliches Freihandelsabkommen schließen? Noch vor einer Woche etwa hatte FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler das Bespitzelungsprogramm des US-Geheimdiensts NSA als eine „schwere Belastung“ für die gestern begonnenen Gespräche über eine transatlantische Freihandelszone zwischen der EU und den USA gesehen.

Die Aufregung ist schnell wieder verraucht. Warum ist das so? Womöglich, weil sich Politik und Wirtschaft irgendwie immer noch auf verschiedenen Planeten abzuspielen scheinen.

Dabei bedeutet die Spionage durch NSA & Co. durchaus nicht nur eine Verletzung der persönlichen Privatsphäre. Branchenexperten gehen davon aus, dass die NSA auch Daten großer deutscher Industriekonzerne abgefangen haben könnte. Durch eine derartige Industriespionage könnten der deutschen Wirtschaft hohe Verluste entstehen.

Doch die auf Export gepolte deutsche Wirtschaft könnte durch einen erleichterten Handel mit den USA kräftig profitieren. „Es wäre ein schwerer Fehler, die komplizierten Verhandlungen jetzt mit weiteren Bedingungen zu belasten“, wirft der Expräsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, denen vor, die jetzt mehr Datenschutz von den USA fordern.

Einfach übermächtig ist die Überzeugung, dass freier Handel allen diene und deshalb keinesfalls durch kleine Irritationen über ein bisschen Spionage unter Freunden infrage gestellt werden dürfe. Schon seit zwei Jahrhunderten wird das mit den Beispielrechnungen begründet, die der britische Ökonom David Ricardo über die Wohltaten des freien Handels anstellte: Wenn sich England und Portugal auf das konzentrieren, was sie am besten können – England auf Textilien, Portugal auf Wein –, und das jeweils andere Produkt vom Handelspartner beziehen, dann haben hinterher alle mehr von beidem. Wer wollte schon an der Neutralität von Mathematik zweifeln?

Nun war Ricardo von Beruf aber Börsenspekulant – und ein äußerst geschickter Lobbyist in eigener Sache. Genau wie heutige Lobbyisten wusste er, dass er mit dem vermeintlichen Nutzen für die Allgemeinheit argumentieren musste, um die Politiker zu überzeugen. Das gar nicht neutrale Ergebnis der Ricardo’schen Handelspolitik war der rasante industrielle Aufstieg Britanniens, an dem sich Ricardo selbst eine goldene Nase verdiente, während Portugal über Jahrhunderte hinweg ein unterentwickelter Agrarstaat blieb.

Nun läuft die EU keine Gefahr, auf die Rolle des Portwein-Lieferanten reduziert zu werden. Dennoch kann man aus der Geschichte eine Lehre ziehen: Freihandel hat Risiken und Nebenwirkungen und kann nicht von Politik getrennt gesehen werden. Kontrolle von Kommunikation stellt in Politik und Wirtschaft direkte Machtausübung dar, kommentiert das Handelsblatt den Bespitzelungsskandal.

Im Übrigen wissen das auch die Europäer ganz genau: Mit China geriet einer der größten Handelspartner immer wieder in den Verdacht der systematischen Wirtschaftsspionage. Sollte es je ein Freihandelsabkommen mit China geben, wäre es unvorstellbar, dass ausgerechnet dieses Thema ausgeklammert wird. Die Schweiz hat in ihrem gerade mit China ausgehandelten Handelsabkommen den Schutz geistigen Eigentums zu einem zentralen Thema gemacht. Warum sollte für die USA etwas anderes gelten?

Wirtschaft + Umwelt SEITE 8