piwik no script img

Plump, aber enervierend

Akademische Übung an einem antiakademischen Werk: Londons Tate Modern entdeckt Martin Kippenberger als Heavy Guy. Gezeigt wird nicht der ganze, aber auch nicht der halbe Kippy. Für Düsseldorf, die Folgestation, wird es mehr Ideen brauchen

Nun gut, das ist unser Londoner Kippy. Der Berserker als Idol,der Witzbold als Fremder,der Appropriateur als Klassiker

Von ULF ERDMANN ZIEGLER

Die riesige geölte Kunstmaschine namens Tate Modern hat soeben eine pedantische typografische Arbeit von Lawrence Weiner gekauft, zum einen. Und: In der Turbinenhalle stapeln sich tausende von weißen „Unilever“- Kisten, umgekrempelte Formen aus dem Atelier der bienenfleißigen, strengen Rachel Whiteread. Man kommt und staunt, aber man fürchtet den Hauch der Langeweile mehr als den Nebel von der Themse her. Und nun hat die Tate Martin Kippenberger entdeckt. Auf dem wandhohen Faksimile eines Fotos neben der Cafeteria präsentiert er sich per Demo-Transparent unübersehbar als „The Exhibitionist“. Englische Jungfrauen erröten.

Die Hufeisenform des Rundgangs im vierten Stock ist mit Geschick so genutzt, dass man das unruhige malerische Werk hinter sich lässt, um Kippenberger mit seinen Zeichnungen auf Hotelbriefpapier als konzentrierten Witzbold zu entdecken. Dann gewöhnt einen der Kopfsaal mit zwei rasanten Persiflagen venezianischer Gondeln an das Nebeneinander von Sozialkater und Alkoholkater. Auf dem Rückweg findet man schließlich das hoch eigentümliche Skulpturenfeld „The Happy End of Franz Kafka’s ‚Amerika‘“, ein gewaltiges Ensemble collagierter Möbel auf einem grünen Ballspielfeld.

Um den ungeheuren Ausstoß Kippenbergers zu belegen, ist anfangs eine dreizehn Meter lange Vitrine aufgebaut, in der Kataloge, Bücher und Einladungen arrangiert sind, plus das einsame Multiple eines Telefonhörers aus Holz. Um seine Leidenschaft für das Abgekupferte und Zweitklassige zu unterstreichen, hat der Künstler für seine Bücher Erscheinungsbilder abgewandelt: Reclam-Heftchen, Baedekers und die rororo-Reihe der Künstlermonografien dienen als Vorlage. Eins der wenigen Originale ist das Buch „Frauen“ im Merve-Verlag mit der ansteigenden Raute als Titelgrafik, ein Entwurf von Jochen Stankowski. Ein paar Jahre später, für die „Psychobuildings“ im Verlag Walther Königs, wurde der Entwurf bereits persifliert: die Raute steht als abfallende Form auf dem Titel und rückseitig als aufsteigende, ein Verkehrung des Merve-Designs. Wie immer bei Kippenberger: plump, aber enervierend. Die abfallende orangefarbene Raute der „Psychobuildings“ findet sich auch auf dem Plakat der Ausstellung wieder. Ob die Engländer auch nur ahnen, womit sie es zu tun haben? Jedenfalls haben sie sich nicht die Mühe gemacht, den Publikationswust dieser Vitrine zu katalogisieren, sodass es selbst einem deutschsprachigen Besucher rätselhaft bleibt, was das winzige Heftchen einer „Lord Jim Loge“ oder ein „Einstellungsgespräch“ von Jörg Schlick (im Design einer Suhrkamp-Broschur) mit Martin Kippenberger zu tun hat.

Übersetzt wurden allerdings die Titel seiner gemalten Bilder. So lautet „Nachträglicher Entwurf zum Mahnmal gegen die falsche Sparsamkeit“ in der englischen Beschilderung „Supplementary Proposal for a Monument Against False Economics“ – Witz, du bist umzingelt! Wie wär’s mit „Belated Sketch for a Memorial Against Foolish Parsimony“? Ausstellung und Katalog sind durchzogen von Halbherzigkeiten: „Sozialkistentransporter“ als „Transporter for Social Boxes“, gemeint ist aber „welfare“; die Romanfigur als „figure“, statt „character“; „Heavy Burschi“ geistlos als „Heavy Guy“. Zugegeben, „Abschied vom Jugendbonus!“ ist nicht leicht zu übersetzen, aber ein „youth bonus“ ist, im britischen Sprachgebrauch, gewiss nicht des Pudels Kern. Was hätte ein literarisch geschulter Übersetzer aus dem Kippydeutsch machen können!

Die Paintings – Gemälde wäre das falsche Wort – sind in Standardformaten seriell produziert worden. Sie leben zur Hälfte von den Titeln, denen man entnehmen kann, wessen Kunst und welches Stichwort zur Verballhornung anstehen. Ein Kippy-Selbstporträt als „Die Mutter von Joseph Beuys“; ein Sci-Fi-Heft-Zitat als „Junger, progressiver Arzt bei der Betrachtung von Unrat“; eine karierte Tischdecke als „2.Preis“ – das ist beim ersten Mal amüsant, beim zweiten Mal zu laut und beim dritten Mal fad.

In der Tat war Kippenbergers Zugang zur Malerei durch einen fatalen Irrtum blockiert. Geboren 1953 in Dortmund, wuchs M.K. in Essen auf, das mittlere Kind zwischen vier Schwestern, von den Eltern früh zu „unserem Künstler“ stilisiert. Gegen die Forderung des Vaters, er solle einen „eigenen Stil“ entwickeln, kam er zu dem Entschluss, die Stillosigkeit vertreten zu wollen. Das sollte ihm später mit Hilfe der Hamburger Akademieausbildung durchaus gelingen. Was aber die Malerei betrifft, glaubte er im Ernst, durch vage Nachahmungen Maler hinter sich lassen zu können: mit Paul Klee, gab er zu Protokoll, sei er ganz schnell fertig gewesen.

Irrtum, erster Teil: Maler sind nicht Repräsentanten von Stilen. Sondern sie kommen zu Stilen durch ihre Auseinandersetzung mit Fragen der Repräsentation. Irrtum, zweiter Teil: Gerade von Klee, der als Zeichner dem Cartoon nicht fern war und als Maler vielleicht etwas zu leichtfüßig im Koloristischen zu Haus, hätte er etwas lernen können. Nämlich, dass Malen nicht Zeichnen mit Pinsel ist und auch nicht sein darf. Wer vordringen will zu sekundärer Malerei – Kopie und Variante, Parodie und Pastiche –, darf nicht handwerklich unterlegen sein. Zur Malerei kommt man nur durch die Malerei. Siehe Polke. Die Verletzung der Regel ist nicht weniger schwierig als ihre Einhaltung.

Das hyperaktive Kind, ausgeliehen an kreative Tanten und auf Internaten herumgeschoben, entwickelte sich zu einem sozialen Talent mit einer gewissen Einseitigkeit. Das dokumentiert eine Ausstellung in Frankfurt am Main, die dem Kontakt des 23-jährigen Kippenberger mit der Hamburger Hautevolee-Filmemacherin Gisela Stelly gewidmet ist, die „zu verehren“ er 1976 beschlossen hatte. Zu sehen sind viele niedliche Jungmännerbriefe aus Florenz in handgeschriebenen Versalien auf großen Bögen und abschließend die Preisliste der beim Zehn-Monats-Aufenthalt fertig gestellten 84 Ölbilder in frühem Richtergrau. (Stelly kaufte drei.)

Die Kabinettausstellung findet statt in der Galerie Bärbel Grässlins, die dem Künstler damals eine von mehreren Ersatzfamilien bot, die er suchte, im Mutterfall Grässlins allerdings mit erweiterten Mitteln, Atelier im Schwarzwald inklusive. Dort und an wechselnden Orten etablierte er seine Versuchswerkstatt, schon mit Assistenten, denn es hatte sich erwiesen: Kippys Vorstellung von Arbeit war zwingend gekoppelt an die Gegenwart von Publikum. Als Hausgast verlangte er Mittagessen um zwölf und bestand auf dem Nachmittagsschlaf um drei. Ansonsten ließ er die Puppen tanzten, hielt seine Monologe und rearrangierte die häusliche Kunst seiner Gastgeber nach Gusto. Ein „Hausbesetzer“ – so sah es die Enkelin Grässlins.

Er war auf der Suche nach Ideen, die sich nach und nach materialisierten. Leitmotiv: die wankende Straßenlaterne. Schließlich entdeckte er Franz Kafkas Roman „Amerika“, an dessen überraschend glücklichem Schluss – alle werden aufgenommen in einen Showbetrieb, der bei Kafka „Naturtheater“ heißt – er sich aufrieb. Die Szene, in der die Kandidaten aufgerufen werden (jeder findet seinen Platz), begriff er intuitiv und treffend als totalitäre Fantasie des Kollektivs, als Propagandaapparat, wobei Kippenberger sich übrigens nicht als „verschollenen“ Karl Rossmann, sondern als Direktor des Migrantentheaters imaginierte. Auf dem grünen Kunstrasen mit seinen weißen Markierungen sind wohl zwei Dutzend Motivgruppen platziert, ein kurioses Hybrid von Großraumbüro und Thriftstore. Jede Einheit symbolisiert den Ort eines Einstellungsgesprächs, dessen Grundtyp von zwei Stühlen um einen Tisch nach dem Prinzip der Ungleichheit variiert wird. Klassiker und Kitschmobiliar, entkernte und verhunzte Möbel sind zusammengedrängt zu einem Energiefeld – im Detail frivol, trashig, surreal; im Ganzen eine Feier der Unbehaustheit, ein Hybrid von Stillleben und Stadtlandschaft. Endlich hatte hatte M.K. sein Thema gefunden.

Allerdings wurde das Naturtheater den Londoner Raumverhältnissen angepasst, nämlich um ein Fünftel geschrumpft. Auch kann man es nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren in den Deichtorhallen, begehen, sondern nur noch von zwei seitlich aufgestellten Tribünen aus einsehen. Die zwei Pfeiler mittendrin erweisen sich dabei als wenig reizvoll. Und das mechanische Karussell zweier Achterbahnsitze, die einst um einen Spiegelei-Tisch kreisten, ist außer Betrieb.

Nun gut, das ist unser Londoner Kippy. Der Berserker als Idol, der Witzbold als Fremder, der Appropriateur als Klassiker. Ein Katalog mit einigen handfesten Beiträgen, einer von seiner Schwester, beschreibt Martin Kippenberger als Kind, Student, Lehrer, Selbstdarsteller und Produzent. So bestätigt sich das Bild des Deutschen als expressives Rätsel. Wenn diese Ausstellung demnächst nach Düsseldorf weiterreist, wird das Rätsel kleiner sein, weil das Sprachproblem wegfällt, und die Enttäuschung größer, weil dies nicht der ganze Kippy ist und auch nicht der halbe. Es ist eine akademische Übung an einem antiakademischen Werk. Der nächste Schritt: seine Arbeit zu werten. Die Leinwände in die Depots. Dann sehen wir weiter.

bis 14. Mai, Tate Gallery, London, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 19,80 €; bis 4. März, Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt am Main, Buch von Gisela Stelly (Buchhandlung Walther König) 90 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen