Die Jagd auf Männer in Schutzanzügen

Im Katastrophengebiet Rügen ist die Stimmung schlecht: Die Inselbewohner beschimpfen die Soldaten, die Bundeswehr fühlt sich von der Politik allein gelassen – und die Journalisten wollen immer neue Bilder von Soldaten im Grippe-Einsatz

aus Rügen BARBARA BOLLWAHN

Die Stimmung auf der Insel Rügen schlägt um. Nachdem die gesamte Ostseeinsel seit Montag als Schutzzone gilt, empören sich immer mehr Rüganer. Sie schimpfen darüber, dass am Rügener Damm die Reifen von Autos mit Desinfektionsmittel abgespritzt werden und Fußgänger durch Seuchenmatten laufen müssen. Ebenso werden die Kurzbesuche von Bundesministern kritisiert, die „schlagkräftige Aktionen“ fordern und wieder abreisen. Viele Rüganer verstehen die Aufregung nicht: In jedem Winter halten sich auf der Insel über 100.000 Wildvögel auf, jährlich sterben 1.000 bis 2.000. Das sei kein Grund zur Entwarnung, aber auch kein Grund für Hysterie, Notstand oder Bundeswehr.

Den Unmut bekommen vor allem die Soldaten zu spüren, die die angeordneten Maßnahmen umsetzen. Die zehn ABC-Abwehrsoldaten am Rügener Damm müssen den Frust und die Fragen der stundenlang im Stau stehenden Fahrer ertragen. „Es ist zu Beschimpfungen der Bundeswehr gekommen“, sagte gestern der Sprecher der Bundeswehr Mecklenburg-Vorpommern, Michael Büsching, zur taz. „Wir machen, was man uns aufträgt. Mit dem Zorn der Bevölkerung darf man uns nicht alleine lassen“, sagte Büsching. „Die Sinnhaftigkeit dessen, was wir dort machen, muss von ziviler Seite sichergestellt werden.“ Inzwischen wurden die Seuchensperren allerdings gelockert. Fahrzeuge auf dem Weg nach Rügen müssen sie nicht mehr passieren. Nur bei der Abreise von der Insel werden die Autos noch desinfiziert.

Ein weiteres Problem sind die Journalisten, die nach immer neuen Bildern von toten Vögeln und Männern in Schutzanzügen verlangen. Gestern war ein Pressetermin an der Wittower Fähre geplant, wo die ersten zwei Schwäne mit dem H5N1-Virus gefunden wurden. Inzwischen sammelt die Bundeswehr dort weitere tote Tiere ein (siehe unten). Doch dieser Pressetermin wurde gestrichen, um die Arbeit der Soldaten nicht zu behindern. Stattdessen gab es in der Nähe der Halbinsel Ummanz einen Medientermin. Dort demonstrierten Soldaten den Journalisten auf einem Feld, wie man tote Vögel einsammelt. Damit es möglichst echt wirkte, mussten auch die Pressevertreter weiße Schutzanzüge tragen. Durch diese Inszenierung sollte verhindert werden, dass Journalisten auf eigene Faust Männern in weißen Schutzanzügen nachstellen.

Auf Ummanz hat der Geflügelzüchter Holger Kliewe seinen Hof (siehe taz vom 18. 2). Er war einer der ersten Bauern, dessen Geflügelstand getötet wurde – 2.000 Enten, Gänse und Hühner. Denn sein Hof liegt nur wenige Meter vom Bodden entfernt – so die offizielle Begründung. Es ist aber zu vermuten, dass ihm auch zum Verhängnis wurde, dass sein Hof von Dutzenden von Fernsehteams aus aller Welt aufgesucht wurde, um seine Tiere im Stall zu filmen. Da sie sich an keine Schutzzonen hielten, gelten Journalisten inzwischen als mögliche Virusüberträger.