„Das Geld reichte gerade für ein Kaiserbild“

Die Geschichte jüdischer Volksschulen in Deutschland ist bislang fast unerforscht. Die Düsseldorfer Bildungsforscherin Gisela Miller-Kipp untersucht jetzt die jüdischen Schulen des Regierungsbezirks Düsseldorf. Ein Gespräch über Diskriminierung, Integration und preußische Bildungspolitik

taz: Frau Miller-Kipp, wie viele jüdische Grundschulen gab es denn im Regierungsbezirk Düsseldorf?Gisela Miller-Kipp: Schwer zu sagen. Es wurden zwischen 1820 und 1942 Schulen gegründet, geschlossen und manchmal wiedereröffnet. Interessant ist, wann viele Schulen gegründet, wann viele geschlossen wurden. In Preußen wurde 1794 die Unterrichtspflicht ausgesprochen. 1824 bestimmte eine rheinische Rechtsverordnung, dass sie auch für jüdische Kinder gilt. Daraufhin wurden einige jüdische Schulen gegründet. 1847 wurden die jüdischen Gemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechtes anerkannt. Sie konnten nun für ihre Schulen beim Staat Anträge auf Finanzierung stellen. In der Zeit gab es noch einen Gründungsboom. Zwischen 1860 und 1870 gab es über 25 Schulen.

Warum wurden überhaupt separate Schulen gegründet?

Gab es in der Nähe keine christliche Volksschule, wurden sie vermutlich gegründet, um den Kindern überhaupt Bildung zu vermitteln. Ansonsten sollten sie die religiöse Identität stärken.

Im Kaiserreich gab es dann immer weniger Schulen.

Es gab zu der Zeit Bestrebungen in jüdischen Gemeinden, die Kinder auf christliche Schulen zu schicken, um für sie mehr Anerkennung zu erreichen. Viele Juden sagten: „Wir sind Deutsche.“ Deshalb sollten sich die Kinder durch den gemeinsamen Schulbesuch frühzeitig integrieren. Weil der Antisemitismus erstarkte, gab es auch Neugründungen.

Wie sah der Antisemitismus im Kaiserreich aus?

Es wird zum Beispiel berichtet, wie Anwohner direkt vor einem jüdischen Schulgebäude ein Schwein schlachteten und das Tier im Flur aufhängten. Die Kinder mussten nach dem Unterricht an dem Schwein vorbei.

Unterschieden sich die jüdischen von anderen Schulen?

Die jüdischen Schulen waren eher schlechter ausgestattet. Ein Dokument wirft ein Schlaglicht auf die Frage. Es gab eine Anfrage nach einer neuen Ausstattung der Schulräume. Und wofür hat es dann gereicht? Für ein Kaiserbild und für Wandkarten von Preußen, dem Rheinland und von Palästina.

Und die Unterrichtssprache?

Deutsch. Einzige Schullektüre war lange Zeit die Bibel. Ab etwa 1830 gab es eine Übersetzung der Bibel ins Deutsche in hebräischer Schrift, etwa 1840 in lateinischer Schrift. Damals gab es jüdische Eltern, die im Gasthaus die deutsche Speisekarte nicht lesen konnten. Das konnten dann die Kinder. Für die wiederum war das Hebräische etwas Fremdes.

Das erleben heute viele Migrantenkinder der zweiten oder dritten Generation. Welche Lehre kann man aus Ihrer Forschung ziehen?

Geschichte lehrt nichts. Geschichte will allein zeigen, wie etwas gewesen ist. Sie kann helfen, einen kritischen Abstand zum Gegenwartsgeschehen zu wahren. Dadurch lässt sie längere Entwicklungen erkennen und macht Prognosen möglich.

Angesichts der Debatten über Deutschpflicht und Kopftücher auf Schulhöfen: Was prognostizieren Sie den Grundschulen heute?

Eine Gesellschaft, eine Grundschule, eine Sprache. Europa hat den 30-jährigen Krieg bis ins 19. Jahrhundert kollektiv nicht vergessen. Nach diesem Krieg war ein Drittel der Bevölkerung tot und die Hälfte des Landes verwüstet. Deshalb ja die radikale Trennung von Kirche und Staat. Nur eine staatliche Schule kann eine kollektive politische Moral stiften.

Was halten Sie davon, dass die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf ihre eigene Schule hat?

Persönlich finde ich das nicht gut. Wir sind doch eine Stadt-Gesellschaft. Wo verabreden sich denn die Kinder für den Nachmittag? In der Schule!. Religiöse oder ethnische Separierung ist da vorprogrammiert.

Warum dann diese Schule?

Die jüdische Elementarschule hat zwei Funktionen. Die religiöse und kulturelle Tradition wird bewahrt und die Gemeinde wird zusammengehalten. Manche Gemeinden sind mit großen Ungleichzeitigkeiten des religiösen und kulturellen Bewusstseins belastet. Es gibt die orthodoxen Juden aus Osteuropa, es gibt die Liberalen. Eine gemeinsame Elementarschule kann da Frieden schaffen. INTERVIEW: LUTZ DEBUS