Schweres Erdbeben erschüttert Osten der Türkei

KATASTROPHE Fast 60 Menschen werden getötet und über hundert verletzt. Mehrere Dörfer total zerstört

Erst gegen Mittag erreichten die ersten Helfer die Unglücksregion

ISTANBUL taz | Es war noch vor dem Morgengrauen. Um 4.24 bebte in Ostanatolien die Erde. Fast 60 Menschen wurden getötet, über hundert verletzt, zum Teil schwer. Viele wurden im Schlaf überrascht und starben unter den Trümmern.

Am frühen Morgen sendete das türkische Fernsehen erste Bilder aus der betroffenen Region. Das Epizentrum liegt mitten im überwiegend kurdisch besiedelten Ostanatolien, in der Provinz Elazig. Es ist eine der ärmsten Gegenden der Türkei. Die oft noch aus Lehm oder Feldsteinen erbauten Häuser stehen an den Hängen der Berge und halten kaum einem Beben stand. Vier größere Dörfer wurden durch den Erdstoß deshalb nahezu vollständig zerstört, am schlimmsten betroffen sind die Orte Okcular und Karakocan.

Das Beben von der Stärke 6.0 reichte aus, auch mehrere Moscheen umzustürzen. Auf den ersten Erdstoß folgten noch etliche weitere Nachbeben. Das Erdbeben war außer in Elazig auch in den umliegenden Provinzen deutlich zu spüren. Aus Angst vor weiteren Erdstößen verbrachten etliche Menschen den Rest der Nacht im Freien.

Erst gegen Mittag erreichten die ersten Helfer die Unglücksregion. Aus Ankara schickte man vier Hubschrauber, die für den Transport von Verletzten ausgerüstet sind. Aus den am nächsten gelegenen Städten Elazig, Tunceli und Bingöl schickte dar Rote Halbmond Lkws mit Helfern und Zelten. Trotzdem sah man auf den Fernsehbildern hauptsächlich Dorfbewohner, die nur mit Schaufel und Spitzhacke ausgerüstet verzweifelt in den Trümmern ihrer Häuser buddelten. Nach einer ersten Auskunft des Gouverneurs der Region gab es aber schon am Nachmittag keine Verschütteten mehr.

Die Dörfer in der Provinz Elazig liegen direkt auf einer der Bruchlinien, die die Türkei von Osten nach Westen durchziehen. Die eurasische und afrikanische Erdplatte treffen hier aufeinander. Erst vor sieben Jahren hatte die Erde in der Provinz Bingöl gebebt und eine Schule zerstört. 80 Schüler wurden getötet.

Premier Tayyip Erdogan sprach am Mittag den Familien der Betroffenen sein Beileid aus und versprach umfangreiche Hilfe. Kaum liefen die ersten Bilder aus der Unglücksregion über die Bildschirme, diskutierten in den Fernsehstudios die Experten bereits, ob der Erdstoß von Elazig ein Vorbote für weit schlimmere Beben in der Türkei sein könnte. Seit 1999 ein schweres Beben von über 7 auf der Richterskala die Marmara-Region und die Peripherie von Istanbul erschüttert hatte, wird spekuliert, wie gefährdet die Metropole am Bosporus ist. Fast alle Experten gehen davon aus, dass Istanbul in den kommenden 30 Jahren von einem schweren Beben getroffen werden wird. JÜRGEN GOTTSCHLICH