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Aufregung über Steine

BIODRAMA Zwanzig Jahre dauerte die Auswertung der Notizbücher der berühmten Amerikareise von Alexander von Humboldt. Was er in Teneriffa trieb, ließen sich die Humboldt-Forscher jetzt einmal von zwei dort lebenden Theaterleuten erzählen

Von Humboldt nahm sogar einige Proben der „Kraterluft“ in Reagenzgläsern mit

„Vier englische Schiffe!“ – „Cuatro barcos ingleses!“ – auf dem Schiff „Pizarro“ herrschen Aufregung und Trubel. „An gleicher Stelle wurde Admiral Nelson der Arm durch eine Kugel abgerissen!“ England befindet sich 1799 im Seekrieg mit Spanien. Alexander von Humboldt, der unter spanischer Flagge mit Genehmigung des Königs reist, befindet sich auf einer jahrelang geplanten Forschungsreise Richtung Südamerika – der erste Stopp führt ihn nach Teneriffa.

Die Theatergruppe „Jastratro“ brachte diesen Besuch Teneriffas nun in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften auf die Bühne. Warum gerade hier? „Es ist angemessen, einen so großen Akademiker auch mal auf der Bühne zu haben“, sagte Ingo Schwarz, Arbeitsstellenleiter der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle, bei der Einführung.

„El comienzo de un largo viaje / Der Anfang einer langen Reise“ heißt das Theaterstück. Die deutsche Schauspielerin Antonia Jaster, die die Rolle des Alexander von Humboldt spielt, und ihr Kollege Ulises Hernández, der neben der Rolle des Reiseführers Domingo auch in andere Rollen schlüpft, sind die Autoren und Regisseure des Stückes und leben auf Teneriffa.

Übersetzung immer dabei

Ein besonderes Leben verleiht ihrer Aufführung die Zweisprachigkeit, in Deutsch und Spanisch. Wenn Alexander von Humboldt so zum Beispiel laut aus seinem Tagebuch vorliest, steht Domingo hinter ihm und wiederholt das Ganze auf Spanisch. Das hilft dem Publikum – macht aber auch die Bewegung in einem anderen Kulturraum, die Notwendigkeit von Übersetzung, stets gegenwärtig.

Sein Ruf als Wissenschaftler und Bergminenexperte, sein diplomatisches Geschick und die Hilfe einflussreicher Freunde, verhalfen Alexander von Humboldt, der eine hervorragende Ausbildung genossen hatte, zu etwas Erstaunlichem: einem Forscher-Reisepass. Der spanische König sicherte von Humboldt völlige Reisefreiheit zu – der wiederum aber so auch in der Pflicht stand, die Ergebnisse seiner Reise mit Spanien zu teilen. „Ein Exemplar für den König und eines für die Forschung“, heißt es so auch im Theaterstück, wenn Humboldt Artefakte sammelt und mitnimmt. Von Humboldt erforschte systematisch, vermaß, botanisierte und schrieb alle Ergebnisse sorgfältig in seine Notizbücher.

20 Jahre dauerte die Auswertung seiner insgesamt fünfjährigen berühmten Amerikareise. Zwei Ziele führten ihn besonders nach Teneriffa: der Besuch des uralten Drachenbaums in La Orotava, von dem er schon als kleiner Junge träumte, und die Besteigung des Vulkans Pico del Teide. Hier konnte er verschiedene Vegetationszonen auf dem Weg zum 3.700 Meter hohen Gipfel registrieren und den Krater des Vulkans untersuchen. Von Humboldt nahm sogar einige Proben der „Kraterluft“ in Reagenzgläsern mit, die sein tollpatschiger Reisebegleiter Domingo jedoch beim Abstieg zerbricht.

Humboldt beklagte in seinen Tagebüchern „den üblen Willen“ und „die Faulheit“ seiner Bergführer. Dies wird nachgespielt: Den Tatendrang und die Aufgeregtheit von Humboldts kann Domingo nicht verstehen. Er wirft so zum Beispiel Steine, die der Forscher mühsam als Proben sammelt, wieder hinter sich. Die Schauspieler Jaster und Hernández haben sich bei ihren Dialogen häufig am Originaltext von Humboldts orientiert und dabei eine Geschichte gefunden, die sie mit viel Humor interpretieren.

Viele Eindrücke haben ihn sein Leben lang begleitet, doch einen wird er nie vergessen, resümiert Alexander von Humboldt nach seinen vielen Reisen am Ende des Bühnenstückes: das Tal von Tacaronte auf Teneriffa. Auch das „Nichtvorhandensein der Sklaverei wirkt so wunderbar auf die Seele“ – Alexander von Humboldt war in vielen Disziplinen Vordenker seiner Zeit (und ein großer Liebhaber Teneriffas).

CHRISTINA STEENKEN

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