Im Wein liegt die Wahrheit des Bundesnaturschutzgesetzes

NATURSCHUTZ Am Zickenplatz soll eine riesige Weinpflanze an einer Brandwand zerstört werden

Gilt im grün regierten Kreuzberg auch das neue Bundesnaturschutzgesetz? Dies wird sich am Donnerstag zeigen, wenn in der Boppstraße 11 am Kreuzberger Zickenplatz eine Gartenbaufirma anrückt. Wie den Mietern angekündigt, soll die etwa ein Fußballfeld große und über 25 Jahre alte Weinpflanze an der Brandwand beseitigt und kleingehäckselt werden.

Als sie von den Plänen erfuhren, wandten sich die Mieter des Hinterhauses der Boppstraße 11 empört an die zuständigen Naturschutzbehörden im Bezirk und bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Dort stießen wir auf Desinteresse“, berichtet Thomas Müller, einer der Mieter. „Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Seit dem 1. März gilt das neue Bundesnaturschutzgesetz, das zwischen 1. März und 30. September das Abschneiden oder auf den Stock setzen von Bäumen, Gebüschen und anderen Gehölzen verbietet.“ Müller verweist dabei besonders auf die in den Mauerritzen seit zwei Wochen nistenden Haussperlinge. Aktuelle Aufnahmen der in ihrem Bestand gefährdeten Vögel haben die Mieter auf www.youtube.com/user/weinrettung ins Netz gestellt und fordern die Behörden auf, den Kahlschlag zu verhindern.

Ignoranz bei den Behörden

Doch diese spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Gegenüber der taz verwies die zuständige Mitarbeiterin im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an die Obere Naturschutzbehörde beim Senat. Für diese wiederum erklärte Petra Rohland, Sprecherin der Senatorin für Stadtentwicklung, dass „hier der Bezirk zuständig ist“. Bei ihrer Behörde liege kein Antrag auf Ausnahmegenehmigung vor. Dagegen behauptet die Hausverwaltung ex-ante-GmbH der Boppstraße 11, dass „über eine Gartenbaufirma alle Genehmigungen beantragt und diese vorliegen würden“. Und der zuständige Mitarbeiter der Gartenbaufirma meinte sichtlich genervt zur taz, dass er ausführlich mit dem Gartenbauamt Kreuzberg gesprochen habe. Für ihn sei der Wein „abgestorben und tot, da sind keine Vögel“.

Gleichzeitig verweist er allerdings auch auf „die Zwangslage“, in der er und die Hausverwaltung ex-ante-GmbH sich befinden. Die Beseitigung des Weins verlangt nämlich die Hausverwaltung der Boppstraße 10, die Westfalia Immobilienverwaltung. Die Westfalia wollte sich nicht zu dem Vorhaben äußern.

Die Mieter der Boppstraße 11 fordern die Behörden auf, „den beteiligten Hausverwaltungen jede Handlung an dem Weinwuchs zu untersagen, bis eine vollständige naturschutzrechtliche Prüfung vorliegt“.

Mittlerweile sind auch die Grünen im Bezirk alarmiert. Für Daniel Wesener, Sprecher der BVV-Fraktion, ist es nicht nachvollziehbar, „dass wir um jeden Quadratmeter Stadtnatur kämpfen und hier ein über 25 Jahre gewachsenes Biotop ohne Grund zerstört werden soll“.

Und der Fall scheint Kreise zu ziehen. Inzwischen sind auch der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz und der grüne Wahlkreisabgeordnete Dirk Behrendt eingeschaltet. So wird wohl am Donnerstag die konkrete Interpretation des neuen Bundesnaturschutzgesetzes vor Ort ausdiskutiert. CHRISTOPH VILLINGER