„Mr Euro“ gerät ins Stolpern

LUXEMBURG Nach der jüngsten Geheimdienstaffäre verliert Premierminister Jean-Claude Juncker seinen sozialistischen Koalitionspartner und entscheidet sich für Neuwahlen

Er habe Wichtigeres zu tun gehabt, als sich sechs Stunden am Tag um den Geheimdienst zu kümmern

AUS LUXEMBURG LUC CAREGARI

Er ist ein EU-Dinosaurier und Luxemburgs ewiger Premierminister: Jean-Claude Juncker. Nachdem seine Regierung tags zuvor über einer Geheimdienstaffäre zerbrochen war, stellte Juncker am Donnerstag klar, dass er bei möglichen Neuwahlen im Herbst wieder für seine Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) antreten wolle. Bis dahin werde er weiterregieren.

Das Politdrama, das Jean-Claude Juncker dazu zwang, das Scheitern seiner Regierung einzugestehen, hatte am Mittwoch um 14 Uhr seinen Lauf genommen: In einer großen Parlamentsdebatte war als erster Redner der Berichterstatter der Untersuchungskommission in Sachen Geheimdienst, der Grüne François Bausch, zu Wort gekommen. Der zählte noch einmal die zahlreichen Skandale auf, in die Luxemburgs Schlapphüte des Service de renseignement de l’Etat luxembourgeois (Srel) verwickelt sind – und deren politisch Verantwortlicher Juncker ist.

Bausch berichtete über innenpolitische Spionage, die sich mindestens bis in die Anfangsjahre der Juncker-Ära zog – und die es wahrscheinlich immer noch gibt. Es geht um illegale Abhöraktionen und die Aktivitäten einer Parallelpolizei im Geheimdienst Srel, die versuchte, dem Generalstaatsanwalt eine Pädophilieaffäre anzudichten, ebenso wie um Antiterroraktionen, die aus dem Ruder liefen, und nicht zuletzt um Autoschieberei. Im Jahr 2007 schnitt der ehemalige Geheimdienstchef und heutige Sicherheitschef von Siemens, Marco Mille, ein Gespräch mit Juncker mit, das in die Presse gelangte: Darin enthüllte Mille, dass sein Dienst auch den Großherzog von Luxemburg überwacht hatte.

Weder die Kontrollkommission des Geheimdienstes noch die Justiz habe Juncker über die Machenschaften seines offenkundig dysfunktionalen Dienstes informiert. Schlimmer noch: Durch das Einschleusen seines persönlichen Chauffeurs in den Srel soll Juncker versucht haben, eine alternative Informationsquelle zu betreiben. Offenbar traute auch der Regierungschef selbst seinem Dienst nicht. Als Juncker nach achtstündiger Debatte im Parlament das Wort ergreift, erklärt er sich zum Opfer seines eigenen Geheimdienstes. Er habe Wichtigeres zu tun gehabt, als sich sechs Stunden am Tag um den Srel zu kümmern, sagt er, und beklagt sich darüber, selbst nicht informiert worden zu sein.

Das ist großes Psychodrama – rhetorisch meisterhaft bringt der Premier es fast fertig, den Spieß umzudrehen: Er, Juncker, sei zwar verantwortlich, dafür aber noch lange nicht schuldig.

Juncker kann in diesem Moment noch nicht nicht wissen, dass ihn seine Koalitionspartner von der sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP) schon abgeschrieben haben. Nach den darauffolgenden Redebeiträgen der Fraktionsspitzen verkündete Juncker das Ende der Regierung. Mit seiner Erklärung kommt Juncker einem Misstrauensantrag im Parlament zuvor.

Aber ist die Juncker-Ära in Luxemburg nun vorbei? Juncker ist nicht nur über die Geheimdienstaffäre gestolpert – sein Problem ist vielmehr ein genereller Vertrauensverlust in eine Regierung, die sich in den letzten Jahren schon durch so manchen Skandal geschmuggelt hat: Da gibt es die „Liwingen“-Affäre, bei der Minister und auch Juncker versucht haben sollen, einen Bauunternehmer zu erpressen. Oder die „Cargolux“-Affäre, die in einer Katastrophe für die nationale Fluggesellschaft mündete.

Seinem Finanzminister Luc Frieden wird auch vorgeworfen sich in der „Bommelëer“-Affäre, in der es um eine Attentatsserie aus den 80er Jahren geht, eingemischt zu haben. In den 2000er Jahren, als Justiz- und Polizeiminister, soll er Druck auf Ermittler und Untersuchungsrichter ausgeübt haben, damit sie ihre Arbeit beenden.

Da die Attentate aber mit großer Wahrscheinlichkeit von Mitgliedern der damaligen Sicherheitskräfte ausgeübt wurden, weil sie auf diese Weise mehr Geld aus dem Haushalt für ihren Dienst erpressen wollten, geriet Frieden schnell unter Verdacht, die Polizei gegen die Justiz zu verteidigen.

Und fast immer spielte der Geheimdienst eine Rolle in diesen Skandalen.

So kam es zu einem diffusen Amalgam von Skandalen in Luxemburg, die dazu führten, dass das Vertrauen in die sonst allmächtige Christlich-Soziale Partei des Premiers drastisch abnahm. Und das alles kristallisierte sich in der Figur des Übervaters Juncker, der sich nun zum Opfer erklärt hat und erhobenen Hauptes in die Neuwahlen gehen kann.