Wahre und echte Geister

Zum ersten Mal gab es in Köln zwei alternative Geisterzüge. Doch die „organisierte Anarchie“ ist immer noch bedroht: Ihre Veranstalter klagen über hohe Kosten und Entpolitisierung

Aus Köln SUSANNE GANNOTT
UND GESA SCHÖLGENS

Die alte Straßenbahn ist an diesem Abend gerammelt voll. Zwei betrunkene Mönche in langen braunen Kutten hängen sich mitten im Gedränge an die Haltestangen und schaukeln hin und her. Während sich die Stangen gefährlich biegen, singen sie aus vollem Halse „Viva Colonia“. An der Haltestelle Roncalliplatz öffnen die beiden noch schnell ein Bier, bevor sie mit anderen Jecken und Unverkleideten aus der Bahn strömen, die sich sofort wieder mit Menschen füllt.

Draußen ist es schon dunkel, es weht ein eisiger Wind. Nach und nach versammeln sich die Monster und Gespenster auf dem Platz. Die ersten Sambarhythmen ertönen – nun geht es richtig los. Die Geister rühren ihre Trommeln und scheppern mit ihren Rasseln. Sie schlagen auf alles ein, was Krach macht, einer bläst kräftig ins Saxophon. Einige Gespenster tragen helle Fackeln. Langsam setzt sich der ganze Zug in Bewegung.

Geisterzug in Gefahr

Unter dem Motto „Us dr Lamäng. Jeister am Engk“ (= „Aus dem Handgelenk geschüttelt. Geister am Ende“) hat der Verein Ähzebär un Ko in diesem Jahr den Geisterzug organisiert. Das Motto soll auf die unsichere Gegenwart und Zukunft des traditionellen Karneval-Marsches hinweisen. Eigentlich wollten die Veranstalter den Umzug dieses Mal mangels Helfern und Geld ausfallen lassen – worauf in Internetforen mehrere Aufrufe für den „wahren“ Geisterzug aufgetaucht waren. Erst auf Bitten der Polizei hatte Ähzebär un Ko kurzfristig den „echten“ Geisterzug angemeldet. Die Ordnungshüter befürchteten sonst „wilde“ linksautonome Aufzüge, die für sie schwer zu kontrollieren sind.

Um beim alternativen Umzug mitzulaufen, kommen die Jeister von weit her. Die Vampirdame Mareike Peters ist extra aus Bielefeld angereist. „Karneval ist nicht nur abfeiern und saufen“, sagt sie und verzieht den weiß geschminkten Mund. Es wäre „total schade“, wenn es den Geisterzug nicht mehr geben würde. Ihre bunt maskierte Freundin Katharina Gärtner ergänzt: „Der Geisterzug ist auch eine politische Plattform für Menschen, für die sich sonst kaum einer interessiert.“ Und er setzt immer wieder Zeichen für mehr Toleranz: Am Rande des Zuges kauert ein Obdachloser auf einer alten Decke. Er tauscht mit Katharina: Sie gibt ihm eine selbst gedrehte Zigarette und bekommt dafür eine silberne Prinzessinnenkrone. Beide trennen sich zufrieden.

Die vergangenen Umzüge drehten sich unter anderem um Sozialabbau, Korruption und karnevalistische Ursprünge. Jeder darf dabei spontan mitmachen, auch Unmaskierte. Einzige Voraussetzungen: keine Fahrzeuge, keine Bonbons und keine elektrische Musik. Auch bei der jährlich wechselnden Strecke haben sich die Veranstalter etwas gedacht: „Einerseits wollen wir durch Straßen, Gassen, Viertel führen, die nicht jeder kennt, und andererseits wollen wir zu politisch wichtigen Themen unseren Beitrag leisten.“ Die Zugwege sollen dazu passen. Vor zwei Jahren ging es etwa unter dem Motto „Iesije Zigge“ („eisige Zeiten“) von der Innenstadt bis hin zum Eisstadion.

Gegen Spießigkeit

Fast zeitgleich ziehen ein paar Kilometer weiter im Stadtteil Ehrenfeld rund 150 Teilnehmer des „wahren“ Geisterzugs kreuz und quer durch die Seitenstraßen des Viertels. Passend zum Motto „Du bist Deutschland“ wird die Parade angeführt von einem Gefährt mit aufmontiertem schwarz-rot-goldenen Scheißhaufen – eine unzweideutige Anspielung an das Logo der bekannten Werbekampagne. In dem Haufen steckt ein Besenstil, an dessen Spitze eine Polizeimütze prangt. Und im Gegensatz zum „echten“ Geisterzug haben sich hier tatsächlich zahlreiche Geister das Zug-Motto zu Herzen genommen. Es gibt Polizistinnen und Polizisten, einer trägt das Foto eines Schäferhunds auf dem Rücken, Pickelhauben-Soldaten und Spießbürger – oder faule Arbeitslose – im Bademantel, mit und ohne Alditüte.

Ein Geist hat ein Transparent angeheftet, auf dem zu lesen ist, warum er Deutschland sch... findet: Weil man hier immer besoffen sei und für Sklavenlöhne arbeiten muss. Abseits der üblichen Deutschland-Klischees bewegen sich allerdings nur wenige „kritische Geister“: etwa eine Kleingruppe mit altmodischen Kaffeekannen-Wärmern als Mützen und einem aus Tortenunterlage fabrizierten Schild, das verkündet „Draußen gibt‘s nur Kännchen“. Sogar ein Metzger mit einem Paket Gammelfleisch unterm Arm hat sich unter den überschaubaren Zug gemischt. Dieser zieht mangels größerer Percussion- oder Sambagruppen vor allem mit geistermäßigen U-Hu-Rufen durch die wenig belebten Nebenstraßen. Der Lärm ist nur mäßig. Dennoch verhallt der zwischenzeitliche Versuch eines Geistes, den abgewandelten Demospruch „Hoch die internationale Geisterparade“ anzustimmen.

Der echten Polizei, die vorneweg und hinterher fährt, bleibt angesichts dieser handzahmen Veranstaltung wenig zu tun. Und dabei hatte nur ihre Angst um die Sicherheit dazu geführt, dass es erstmals zwei Geisterzüge in Köln gibt.

Ende jut, (fast) allet jut

Aber ob sie nun „echte“ oder „wahre“ Geister sind, in Köln wollen auch die Linken an Karneval vor allem eins: Spaß haben und feiern. „Es ist alles prima verlaufen“, resümierte gestern ein Polizeisprecher. Insgesamt zogen etwa 4.000 Geister, Vampire, Monster und Kobolde durch die Innenstadt. Weitere 10.000 Jecken kuckten und jubelten ihnen zu. Ob es auch im nächsten Jahr wieder Geisterzüge geben wird, steht aber noch nicht fest.